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Kleiner Beitrag zur Notwehr


karaya

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Text:

§ 32 StGB (Strafgesetzbuch) lautet:

Abs.1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

Abs.2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Erläuterungen:

A) Allgemeines

Die Notwehr geht auf vorstaatliches, übergesetzliches Recht zurück. Man könnte auch sagen sie ist Naturrecht. Daraus folgt, daß sie durch den Gesetzgeber nicht abgeschafft werden kann, er hat sie ja nicht geschaffen, sondern sozusagen nur vorgefunden und aufgeschrieben.

Die Notwehr war früh anerkannt. schon die Überschrift vor Art. 139 der 1532 erschienen Carolina lautete: "Von rechter notweer, wie sie entschuldigt".

B) die Vorrausetzungen im einzelnen

I) Angriff

Jede unmittelbar bevorstehende oder andauernde und noch nicht abgeschlossene Verletzung fremder Rechte oder Rechtsgüter durch einen Menschen (Tiere:§§34,35 StGB, 228 BGB).

Rechtsgüter: z.B. Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre u.a.

Rechte:z.B. Eigentum

II) Rechtswidrig

muß der Angriff sein. Rechtswidrig ist alles, was in objektivem Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Andere Formulierung: Jedes Verhalten, daß der Angegriffene nicht dulden muß.

III) Gegenwärtig

ist ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht oder andauert. Ein Angriff dauert an, solange sich der Angriffserfolg durch Zeitablauf erhöht. Daher ist Notwehr gegen den mit der Beute flüchtenden Dieb möglich. (Je weiter der wegrennt, desto sicherer hat er die Beute, der Angriffserfolg vergrößert sich also)

IV) Von sich oder einem anderen

muß man den Angriff abwenden.

Von sich = Notwehr.

Von einem anderen = Nothilfe.

Es gelten jeweils diesselben Regeln.

V) Verteidigung

ist grundsätzlich gegeben, wenn man mit Verteidigungswillen handelt. Möglich ist sog. Schutzwehr (z.B. Abblocken eines Schlages) oder Trutzwehr (Zurückschlagen).

Andere Motive neben dem Verteidigungswillen (Zorn, Rache etc.) sind unschädlich, solange der Verteidigungswille nicht völlig in den Hintergrund tritt.

VI) Erforderlich

Muß die Verteidigung sein.

Zu beurteilen ist das nach den gesamten Umständen, nach der objektiven Sachlage, aus der zeitlichen Sicht des Angegriffenen.

1) Grundsätzlich darf man sich jeden Mittels bedienen, das gerade zur Hand ist. Auf Risiken für sich selbst muß man sich nicht einlassen, z.B. also nicht versuchen, den körperlich gleichstarken oder überlegenen Gegner durch bloße Körperkraft zu überwältigen.

Nur wenn (nachweisbar!) mehrere gleich erfolgversprechende Mittel zur Verfügung stehen und genug Zeit zur Auswahl ist, muß man das mildeste wählen.

2) Schußwaffeneinsatz ist gegenüber unbewaffneten Angreifern anzudrohen, wenn das zeitlich möglich und erfolgversprechend ist.

Warnschuß ist ratsam.

3) Verhältnismäßigkeit braucht nur zwischen Angriff und Abwehr gegeben zu sein, nicht zwischen angegriffenem Rechtsgut und möglichen Schäden für den Angreifer. Daher ist Notwehr mit gefährlichen Mitteln auch z.B. zum Schutz des Eigentums zulässig (Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen!), siehe aber unten!

VII) Geboten

muß die Verteidigung sein.

Nicht geboten ist sie u.U. in folgenden Fallgruppen:

1) Gegenüber Kindern, Volltrunkenen, Geisteskranken.

Hier ist möglicherweise Ausweichen zumutbar.

2) Bei unerträglichem Mißverhältnis zwischen angegriffenem Rechtsgut und der durch die Verteidigung herbeigeführten Verletzung (Schulbeispiel: Schuß auf Kinder, die Kirschen klauen).

3) Bei vorwerfbarer Herbeiführung der Notwehrlage durch den Angegriffenen selbst (im einzelnen strittig).

4) Wohl am wichtigsten: Wenn die Polizei rechtzeitig erreichbar ist und rechtzeitig kommen würde. Wenn also der Einbrecher im Keller rumort: Erstmal 110, falls dazu Zeit ist. Wenn er dann die Kellertreppe hochkommt: Tja.

C) Tips

I) First off all: Don't panic.

II) Hat man jemand in Notwehr ernsthaft verletzt, ist erste Hilfe zu leisten, soweit ersichtlich ohne eigenene Gefährdung möglich. Andernfalls Notruf.

III) Im Zweifel Polizei rufen. Dabei möglichst wenig sagen. Was man sagt wird festgehalten und in der Aufregung kann man viel Unsinn reden, aus dem sich nachher Schwierigkeiten ergeben können.

IV) Jeder gute Polizist wird Verständnis dafür haben, daß man unter Schock steht und jetzt erst mal nichts sagen kann, wozu man auch nicht verpflichtet ist. Aussage am nächsten Tag mit Rechtsanwalt.

------------------------------------------------------------------------------

Literatur:

Tröndle/Fischer, 50. Auflage

Schönke/Schröder, 26. Auflage

Leipziger Kommentar, 11. Auflage

Kommentare, Fragen, Korrekturen, Ergänzungen wilkommen!

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So so,

da hat sich karaya ja sehr viel Mühe gegeben.

Nur sehe ich das nach dem Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts ein bißchen anders.

Da steht zum Beispiel:

§ 12

Ausnahmen von den Erlaubnispflichten

(3) Einer Erlaubnis zum Führen von Waffen bedarf nicht,

wer

1. diese mit Zustimmung eines anderen in dessen Wohnung,

Geschäftsräumen oder befriedetem Besitztum

oder dessen Schießstätte zu einem von seinem Bedürfnis

umfassten Zweck oder im Zusammenhang

damit führt;

2. diese nicht schussbereit und nicht zugriffsbereit von einem

Ort zu einem anderen Ort befördert, sofern der

Transport der Waffe zu einem von seinem Bedürfnis

umfassten Zweck oder im Zusammenhang damit

erfolgt;

Und einen Ver- oder Einbrecher unschädlich zu machen ist doch nicht der von "unserem Bedürfnis umfasste Zweck".

Also, ich wäre hier da sehr vorsichtig.

Nix mit Bumm Bumm.

Ich lass mich aber sehr gern vom Gegenteil überzeugen.

Einen schönen Abend noch

Klaus

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zu 1.: ...also darf ich als sportschütze die waffe nur aus sportlichen gründen holstern.... z.b. bei einem ipsc-match.

bewaffnet im eigenen garten den rasen mähen ist also nicht mehr. :cry::roll:

zu 2.: war doch früher schon so, oder? zum sv, zum büma, zum wettkampf. aber nicht in der gegend rumkutschieren.

öööh... aber was hatte das eigentlich mit karayas posting zu tun?

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ööh... aber was hatte das eigentlich mit karayas posting zu tun?

An sich nix.

bewaffnet im eigenen garten den rasen mähen ist also nicht mehr.

Doch. Ist noch.

Bei Gesetzen am besten immer von vorne mit dem Lesen anfangen.

Also:

§1 Abs. 4 WaffG (neue Fassung):

"Die Begriffe der Waffen und Munition, sowie die Einstufung von Gegenständen(...), die Begriffe der Arten des Umgangs und sonstige Waffenrechtliche Begriffe sind in der Anlage 1 (Begriffsbestimmungen) zu diesem Gesetz näher geregelt."

Hhhhmmmm. "Begriffe der Arten des Umgangs". Könnte damit vielleicht "Besitz" und "Führen" etc. gemeint sein?

Werfen wir mal einen Blick in die ominöse Anlage 1.

Bingo!

Da findet sich doch tatsächlich -zugegeben reichlich versteckt- in "Abschnitt 2: Waffenrechtliche Begriffe" folgende Definition: "Im Sinne dieses Gesetzes (...) führt eine Waffe, wer die tatsächliche Gewalt darüber außerhalb seiner eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder des eigenen befriedeten Besitztums ausübt"

Folge: Wenn der Rasen innerhalb des "eigenen befriedeten Besitztums" liegt, darf man ihn getrost mit dem 1911-Clon im IPSC- Holster mähen. Das ist nämlich dann kein "Führen".

Wenn die Nachbarn aber dann die Jungs mit den weißen Kitteln holen: Nicht bei mir beschweren.

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nene,

Als erstes musst Du Aufträge nachweisen die den Zweck eines Waffenscheines rechtfertigen. Aber solche Aufträge bekommst Du eigentlich nur, wenn Du einen Waffenschein nachweisen kannst und entsprechende reputationen vorweist.

Merkst Du was, da beisst sich die Maus in den Schwanz. :?

ich kenne einen bei dem hat der VL 1.2 den Waffenschein auf 12 Monate begrenzt und alle Aufträge auf dem Waffenschein eingetragen, als immer mehr Kunden hinzu kamen, musste er schon fast eine Toilettenpapierrolle mit sich führen, die Kundenliste passte nicht drauf. :D

Also flucks geklagt und der Sachbearbeiter rächte sich erst einmal damit, das er keine Verlängerung genehmigte. :shock: Also auch dagegen geklagt, usw. usw.. :roll:

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Moin,

clifford schrieb:

öööh... aber was hatte das eigentlich mit karayas posting zu tun?

Ganz einfach,

ich meine damit, daß man , wenn man sich nich zu blöde vorkommt, ruhig geholstert in seinem "befriedeten Besitz " rumrennen kann.

Solange sich niemand von den Nachbarn bedroht fühlt kann man das wahrscheinlich 24 Stunden am Tag machen.

Was aber ganz bestimmt nicht mehr funktioniert ist die Ausübung der Notwehr mit einer Sport- oder anderen Schußwaffe.

Denn das ist bestimmt nicht der " von seinem Bedürfnis umfasste Zweck".

Dazu gibt es genügend Gerichtsurteile, wo der Einsatz einer Schußwaffe auch innerhalb seines befriedeten Besitzes bei einer Körperverletzung zu extremen Schwierigkeiten beim Besitzer geführt haben.

Dann ist es leider häufig so, dass sich der Anscheinsbeweis gegen denjenigen richtet, der den Angreifer verletzt oder gar getötet hat. Der Angegriffene muss dann seine Unschuld beweisen. Selten sind unbeteiligte Zeugen vorhanden. Bis zur endgültigen Klärung der Unschuld vergehen häufig Jahre, in denen der Jagdschein, die WBK, die Waffen und das Revier weg sind.

Einen schönen Tag noch

Klaus

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Dafür bist Du - vorausgesetzt die Heftigkeit des Angriffes rechtfertigt den Schußwaffeneinsatz - dann noch am Leben.

Nimm´s mir nicht übel, aber mir scheint, Du bringst da einiges durchnander:

1.

Das Tragen einer Schußwaffe innerhalb des eigenen befriedeten Besitztums ist kein "Führen" i. S. d. WaffG.

2.

Der Schußwaffeneinsatz in einer Notwehrsituation hat mit dem Bedürfnis nichts zu tun. Das Bedürfnis ist allein Rechtsgrundlage des Waffenbesitzes.

3.

Die Notwehr ist ein Rechtfertigungsgrund. D. h. die Tatsache, einen Menschen verletzt oder getötet zu haben, impliziert erst einmal, daß das rechtswidrig war. Erst durch die Notwehr wird die Tat gerechtfertigt. Und ob Notwehr vorlag muß nun einmal sorgfältig festgestellt werden.

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Und ob Notwehr vorlag muß nun einmal sorgfältig festgestellt werden.

...was bei Licht betrachtet, vielleicht auch gar nicht so falsch ist. Sonst könnte nämlich jeder jeden einfach so umlegen und hinterher was von Notwehr erzählen.

Nachzutragen ist vielleicht noch, daß natürlich auch für den, der jemand anderen in Notwehr verletzt oder gar getötet hat, die Unschuldsvermutung gilt, d.h. es ist nicht zutreffend, das der "Angegriffene" (=Notwehrausübende) seine Unschuld beweisen müßte. Einen "Anscheinsbeweis" gibt es im Strafrecht nicht.

Mit §12 WaffG hat das ganze wirklich nichts zu tun.

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so wie ich das verstanden habe, geht das nach dem neuen waffg. eben nicht mehr:

(3) Einer Erlaubnis zum Führen von Waffen bedarf nicht,

wer

1. diese mit Zustimmung eines anderen in dessen Wohnung,

Geschäftsräumen oder befriedetem Besitztum

oder dessen Schießstätte zu einem von seinem Bedürfnis

umfassten Zweck oder im Zusammenhang

damit führt;

d.h. auf einem privaten schießstand darf ich als sportschütze führen, nicht aber z.b. auf dem firmengelände eines anderen, um es zu bewachen.

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d.h. auf einem privaten schießstand darf ich als sportschütze führen, nicht aber z.b. auf dem firmengelände eines

anderen, um es zu bewachen.

clifford hat recht. Genau hier liegt der Unterschied zum alten WafffG. Danach wäre das nämlich möglich gewesen.

Wie gesagt: Mit der Frage der Notwehr hat das aber nichts zu tun.

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  • 1 year later...

Anfang des Jahres hat der Bundesgerichtshof die oben erörterten Grundsätze seiner bisherigen Rechtssprechung erneut bestätigt und geradezu lehrbuchhaft dargestellt.

Die Entscheidung (1 StR 403/02) hat in Fachkreisen wegen ihrer großen Klarheit allgemeine Beachtung gefunden. Der BGH hat hier allen Versuchen, das Notwehrrecht zugunsten des Angreifers "aufzuweichen", eine eindeutige Absage erteilt.

Zunächst der Sachverhalt:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Heimtückemordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe heimtückisch gehandelt, ist ebenso rechtsfehlerhaft wie die Verneinung einer Notwehrlage. Zudem weisen die weiteren Ausführungen der Strafkammer zur

Frage einer etwaigen Rechtfertigung des Angeklagten und zur inneren Tatseite Erörterungsmängel auf.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hatte der später vom Angeklagten getötete M. diesem in Teilbeträgen 6.000 DM abgepreßt. Er hatte ihm gedroht, ihm im Nichtzahlungsfalle wegen seines Handels mit sog. Raubpressungen von Kompaktschallplatten (CDs) Schwierigkeiten bei der Polizei zu bereiten und ihn von Freunden zusammenschlagen zu lassen. Beide, M. und der Angeklagte, waren miteinander bekannt und hatten oft persönlichen Kontakt. Als der Angeklagte am Tattage morgens M. in dessen Wohnung besuchte, verlangte dieser weitere 1.000 DM.

M. drohte ihm erneut mit einer Anzeige wegen seiner illegalen Geschäfte. Um den Angeklagten zur Zahlung zu veranlassen, rief M. über die Notrufnummer die Polizei an, um "einen Termin" zu vereinbaren. Er kündigte überdies an, er werde

mit Freunden das Geld von ihm eintreiben. Der Angeklagte ließ sich jedoch nicht zur Zahlung bewegen und verließ schließlich M. s Wohnung.

Abends suchte M. in Begleitung eines gewissen Ma. den Angeklagten in dessen Wohnung auf. Der Angeklagte ließ beide ein. Während Ma. Proviant und eine Flasche Wodka besorgte, stritten der Angeklagte und M. lautstark miteinander. M. hielt dem Angeklagten vor, daß er seit drei Jahren von Sozialhilfe lebe und daneben illegal CDs verkaufe. Er forderte nunmehr vom Angeklagten die Zahlung von 5.000 DM. Nach Ma. s Rückkehr tranken die drei Anwesenden schließlich - am Wohnzimmertisch sitzend - drei Viertel des Inhalts einer Flasche Wodka, der Angeklagte indessen lediglich etwa 0,2 cl. Als der Angeklagte auch auf M. s erneute, nun höhere Forderung nicht einging und diese ablehnte, drohte M. , die Wohnzimmereinrichtung

zu zerstören.

Der Angeklagte bot M. darauf die Übergabe von 1.200 DM an, die er in der Wohnung habe. Dies war M. jedoch zu wenig; er bestand auf der Zahlung von 5.000 DM und drohte im weiteren Verlauf erneut mit Polizei und Finanzamt sowie der Zerstörung der Sachen in der Wohnung oder aber der Mitnahme von Gegenständen im Wert von 5.000 DM. Schließlich begann M. , gegen die CD-Sammlung des Angeklagten zu treten. Der Angeklagte erklärte sich daraufhin bereit, den geforderten Betrag zu zahlen, wenn M. "seine Sachen in Ruhe ließe". Er ging ins Badezimmer seiner "Einraumwohnung mit offenem Küchenbereich" und holte dort eine Plastiktüte aus einem Versteck, in der sich 5.000 DM und 500 US-Dollar befanden. Zurück im Wohnzimmer überließ er Ma. die Tüte. Die Strafkammer vermochte nicht zu klären, ob Ma. dem Angeklagten die Tüte aus der Hand riß oder ob der Angeklagte sie an Ma. übergab.

M. stand zu diesem Zeitpunkt mit den Händen in den Hosentaschen im Wohnzimmer. Völlig überraschend für ihn, der "keinerlei Angriff erwartete", trat der Angeklagte hinter ihn, um ihn zu töten. Er war wütend darüber, daß M. ihm das angesparte Geld wegnehmen wollte; er mochte sich von M. nicht seine Existenz zerstören lassen.

Blitzschnell riß er den Kopf M. s zurück, schlug ihm mehrfach auf denselben und schnitt M. mit einem aus der Hosentasche gezogenen feststehenden, einseitig geschliffenen Küchenmesser

mit einer Klingenlänge von 5,8 cm sofort mehrfach von links nach rechts durch den Hals. Dabei fügte er M. mehrere bis auf die Wirbelsäule reichende Schnittverletzungen zu. M. brach zusammen und verstarb umgehend. Der völlig überraschte Ma. rannte unter Mitnahme des Geldes aus der Wohnung. Er wurde später aufgrund seines Tatbeitrages wegen Erpressung zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Bei dem trinkgewohnten M. bestand zum Todeszeitpunkt eine hochgradige Alkoholbeeinflussung. Seine

Blutalkoholkonzentration lag zwischen 3,03 und 3,26 Promille. Die Strafkammer geht davon aus, daß M. , der als „laut, nervig, sich aufspielend und trinkfest“ charakterisiert wird, auch von anderen Personen Geldbeträge „gefordert“ hatte, ohne „hierauf einen Anspruch zu haben".

Der BGH hob den Schuldspruch wegen Mordes auf.

Zunächst werden die Erwägungen des Landgerichts, das den Angeklagten verurteilt hatte, nochmals verkürzt wiedergegeben:

Das Landgericht hält die Tötungshandlung des Angeklagten für heimtückisch (§ 211 Abs. 2 StGB). M. sei zum Zeitpunkt der Messerattacke des Angeklagten arglos gewesen; er habe sich keines Angriffs versehen. Der Streit zwischen beiden sei beendet gewesen, als der Angeklagte der Forderung M. s nachgegeben und das Geld herbeigeholt habe. Der Angeklagte habe sich

deshalb auch nicht mehr in einer Notwehrsituation befunden (§ 32 StGB). Der Angriff M. s, der seiner Geldforderung mit einem Fußtritt gegen die CD-Sammlung des Angeklagten Nachdruck verliehen habe, sei abgeschlossen gewesen, als der Angeklagte der Forderung M. s nachgekommen sei.

Dem mag sich der BGH aber nicht anschließen, denn:

Beide Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Annahme heimtückischen Handelns des Angeklagten steht hier entgegen, daß M. wegen seines erpresserischen Angriffs mit Gegenwehr des objektiv noch in einer Notwehrlage befindlichen Angeklagten rechnen mußte und deshalb nicht gänzlich arglos sein konnte.

Sodann folgen Ausführungen zur Notwehrlage:

Die Notwehrlage bestand für den Angeklagten während seiner Messerattacke auf M. noch fort. M. s erpresserischer Angriff auf das Vermögen des Angeklagten war noch "gegenwärtig" im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB. Er war zwar vollendet, aber noch nicht beendet; denn die Beute war noch nicht gesichert. (...)

Nur im Falle des endgültigen Verlustes handelt es sich etwa bei einem Angriff auf Eigentum und Besitz beweglicher Sachen für

den Berechtigten nicht mehr um die Erhaltung der Sachherrschaft, sondern um deren Wiedererlangung, für die Gewaltanwendung jedenfalls nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Notwehr zugelassen ist. (...)

Eine Notwehrlage bestand hier also eindeutig, meint der BGH und setzt sich im weiteren eingehend mit den Entscheidungsgründen des LG auseinander:

Die Strafkammer (des LG) meint, der Angeklagte habe - eine Notwehrlage unterstellt - das Maß der objektiv erforderlichen Verteidigung überschritten. Der Angeklagte habe "weggehen können", die Polizei rufen können oder M. , als dieser mit ihm allein war, aus der Wohnung weisen können, "notfalls auch unter

Einsatz adäquater körperlicher Aktion". Diese Würdigung ist lückenhaft und wird den rechtlichen Grundsätzen zur Frage der Erforderlichkeit einer Verteidigung nicht in jeder Hinsicht gerecht.

Denn:

Ein "Weggehen" des Angeklagten aus seiner eigenen Wohnung oder ein Herbeirufen der Polizei nach dem etwaigen Verlassen der Wohnung durch M. und Ma. , also ein Abziehenlassen der Erpresser wäre keine Verteidigung gegen den rechtswidrigen Angriff mehr gewesen.

Daß ein "drohwehrendes" Vorzeigen des mit kurzer Klinge versehenen Küchenmessers sich ebenso wie der Versuch einer "körperlichen Auseinandersetzung" als aussichtsreiche Verteidigungsmittel erwiesen hätten, versteht sich im Blick auf

die Übermacht zweier Angreifer nicht von selbst.

Der trinkgewohnte M. war zwar hochgradig alkoholisiert, aber ersichtlich aktionsfähig und aggressionsbereit.

(...) Daß der Versuch einer vom Angeklagten mittels

körperlicher Gewalt geübten Trutzwehr, die Androhung des Einsatzes des Messers oder aber der Versuch des Herbeirufens der Polizei in Anwesenheit zweier Angreifer aussichtsreich gewesen wären, liegt nicht nahe, hätte deshalb der näheren Darlegung bedurft. (...)

Ein nicht bloß geringes Risiko, daß ein milderes Verteidigungsmittel fehlschlägt und dann keine Gelegenheit mehr für den Einsatz eines stärkeren Verteidigungsmittels

bleibt, braucht der Angegriffene zur Schonung des rechtswidrig

Angreifenden nicht einzugehen. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muß er sich nicht einlassen.

Aber Achtung, alles geht auch nicht:

Allerdings hat der Verteidigende grundsätzlich, wenn ihm

mehrere wirksame Mittel zur Verfügung stehen und er Zeit zur Auswahl und zur Einschätzung der Gefährlichkeit hat, dasjenige Mittel zu wählen, das dem Angreifer am wenigsten gefährlich ist. Ist der Angreifer unbewaffnet und ihm die Bewaffnung des Verteidigers unbekannt, so ist je nach der Auseinandersetzungslage grundsätzlich zu verlangen, daß er den Einsatz der Waffe androht, ehe er sie lebensgefährlich oder gar gezielt tödlich einsetzt.(...)

Erneut stellt der BGH aber klar, daß eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter bei der Notwehr nicht stattfindet:

Die Auffassung des Landgerichts, die Tötung M. s sei "völlig unverhältnismäßig" gewesen, vermag der Senat nicht zu teilen. Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter findet bei der Notwehr grundsätzlich nicht statt.

Ein Fall des Mißbrauchs des Notwehrrechts wegen geringen Gewichts des angegriffenen Rechtsguts stand hier nicht in Rede (sog. Bagatellfälle). Es ging bei dem Angriff M. s nicht lediglich

um eine etwaige Sachbeschädigung der CD-Sammlung des Angeklagten, sondern um die Erpressung eines Bargeldbetrages in Höhe von 5.000 DM.

Bei solcher Ausgangslage gilt der Grundsatz, daß das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht.

Kommt es etwa darauf an, ob der Angeklagte neben seinem Willen zur verteidigung auch noch andere Motive, etwa Wut, hatte?

Ganz klar nein, meint der BGH, soweit überhaupt noch ein Wille zur Verteidigung vorhanden war:

Hinzutretende andere Tatmotive schließen den Verteidigungswillen nicht aus. Eine Rechtfertigung kommt nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann in Betracht, wenn neben der Abwehr eines Angriffs auch andere Ziele verfolgt werden, solange sie den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen.(...)

Nachdem der BGH die Sache ja nach Aufhebung des Ersturteils nicht selbst entscheidet, sondern an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverweist, gilt es nun die "neuen" Richter an einem weiteren Fehlurteil zu hindern:

Der neue Tatrichter wird dann gegebenenfalls zu bedenken haben, ob das Notwehrrecht des Angeklagten einer erheblichen Einschränkung unterlag und ob der Angeklagte deren

Grenzen mit seinem sofortigen Messerangriff auf das Leben M. s überschritten hat.

Hierzu bemerkt der Senat im einzelnen vorsorglich: :mrgreen:

Eine Einschränkung des Notwehrrechts des Angeklagten im Blick auf eine etwaige Provokation M. s durch vorwerfbares Vorverhalten würde voraussetzen, daß dieses Vorverhalten rechtswidrig oder wenigstens sozialethisch zu mißbilligen wäre; zudem müßte zwischen ihm und dem rechtswidrigen Angriff

des M. ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang bestehen.(...)

War aber nicht so, meint der BGH, denn:

Die bisherigen Feststellungen belegen nicht, daß der Angeklagte die Notwehrlage in rechtswidriger oder sonst sozialethisch zu mißbilligender Weise herbeigeführt und M. "provoziert" hätte.

Das bloße Einlassen M. s und dessen Begleiters in seine, des Angeklagten Wohnung trotz der zuvor ausgesprochenen

Drohungen und der bereits erfolgten Erpressungen genügt dafür

nicht. (...)

Ein rechtlich erlaubtes Tun - wie etwa das Öffnen der Wohnungstür gegenüber einem unbekannten Bewaffneten führt jedoch nicht ohne weiteres zur Einschränkung des Notwehrrechts, auch wenn der Täter wußte oder wissen mußte, daß der andere durch dieses Verhalten zu einem rechtswidrigen

Angriff veranlaßt werden könnte.

Dieses Verhalten mochte dann zwar in hohem Maße den Geboten der Vorsicht und der Lebensklugheit zuwiderlaufen; es nahm dem Angeklagten jedoch nichts von seinem Recht, sich gegen den Angriff mit den nach Maßgabe der Situation erforderlichen und gebotenen Mitteln zu verteidigen.

Ebensowenig erweist sich bei dem festgestellten Sachverhalt der illegale Handel des Angeklagten mit Raubpressungen von CD's als notwehreinschränkendes vorwerfbares Vorverhalten.(...) Dieses Verhalten des Angeklagten ist zwar von Rechts wegen ersichtlich vorwerfbar. Es richtete sich jedoch nicht gegen ein Rechtsgut

gerade des M. , wie das etwa bei Tätlichkeiten oder Beleidigungen gegenüber dem späteren Angreifer der Fall ist. Betroffen waren vielmehr Rechtsgüter Dritter, nämlich der Urheberrechtsinhaber der CD-Titel.(...)

Auch demjenigen, der früher eine strafbare Handlung begangen hat, steht grundsätzlich ein uneingeschränktes Notwehrrecht

zur Seite, wenn er in anderem Zusammenhang selbst Opfer einer Straftat wird.

Er hat nicht etwa deshalb, weil die gegen ihn gerichtete Tat (hier: eine Erpressung) vom Täter an seine gegen die Rechtsgüter Dritter begangene eigene Straftat angeknüpft wird, einen "Status minderen Rechts", der Erpresser nicht deswegen einen größeren, im Ergebnis nicht notwehrfähigen Freiraum für seinen Rechtsbruch.

Na alles klar?

Wahrscheinlich nicht. Aber ich hoffe doch, daß diese Auszüge aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung verdeutlichen, daß es keineswegs so ist, wie oft pauschal behauptet wird:

Der Notwehrübende ist nicht immer hinterher der Dumme.

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