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Unternehmen und ihre Nazi-Vergangenheit


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Die NDR-Dokumentation über die Nazi-Verstrickung der Quandt-Familie hat die Debatte um die NS-Vergangenheit deutscher Unternehmen neu belebt. FTD-Online gibt einen Überblick

Deutsche Unternehmen haben sich ihrer Verantwortung lange nicht gestellt: Erst unter dem Druck von US-Gerichten öffneten sie Ende der 80-er-Jahre ihre Archive, arbeiteten ihre eigene Geschichte auf und zahlten Zwangsarbeitern individuelle Entschädigungen. Seitdem zeigen die in großer Zahl erschienenen Unternehmensgeschichten: Widerstand gegen die Nationalsozialisten oder Verweigerung waren die Ausnahme - das Ausmaß der Verstrickung hingegen groß. FTD-Online zeigt, welche Unternehmen ihre wenig ruhmreiche Nazi-Vergangenheit von Historikern haben aufschreiben lassen und welche unfreiwillig von ihrer Vergangenheit während des Hitler-Regimes eingeholt wurden.

Die Quandt-Familie

Fünf Jahre Recherche stecken in dem Film "Das Schweigen der Familie Quandt", die Vorwürfe sind deutlich: Schon die private Geschichte der Familie legt eine enge Verbindung der Quandts mit den Nazis nahe. So ließ sich Magda Ritschel, die zweite Frau des Patriarchen Günther Quandt, nach acht Jahren Ehe im Jahr 1929 scheiden und heiratete zwei Jahre später Joseph Goebbels, den späteren Propagandaminister. Quandt habe diese Kontakte genutzt, um das Geschäft seiner kriegswichtigen Batteriefirma Afa auszubauen, so der Film. Die Afa habe in der Produktion KZ-Häftlinge eingesetzt. Dabei sei eine "Fluktuation" von 80 Häftlingen pro Monat eingeplant gewesen. Dies habe laut der Autorin nichts anderes bedeutet, als dass die Verantwortlichen damit rechneten, dass monatlich 80 Häftlinge sterben würden. Benjamin Ferencz, der für die Ankläger beim Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg gearbeitet hat, sagt im Film, es sei ein Fehler gewesen, Günther Quandt als Mitläufer gehen zu lassen.

Die Familie Quandt selbst hat noch nicht entschieden, ob und wie sie auf den Film reagiert. Nur einer äußert sich in dem Film zu den Vorwürfen, Sven Quandt, ein Enkel Günther Quandts. Er weist jede Verantwortung zurück: "Wie kann ich dafür verantwortlich sein? Habe ich da gelebt? Nein."

Die IG Farben

Eine der ersten deutschen Firmen, die KZ-Häftlinge beschäftigte, war die IG Farben. Der 1925 gegründete Chemiekonzern baute in der Nähe des Konzentrationslagers Auschwitz ein Werk zur Herstellung von synthetischem Kautschuk - in dem im Dezember 1944 fast 4000 Häftlinge arbeiteten, wie der Historiker Manfred Pohl herausfand. Er sagt auch: Die Sterblichkeitsrate war enorm, in den Jahren 1943 bis 1945 seien von 35.000 Zwangsarbeitern 23.000 gestorben.

Im sogenannten IG-Farben-Prozess vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal wurden fünf der 23 Angeklagten wegen Sklavenarbeit verurteilt, sieben weitere wegen Plünderung. Sie mussten ihre Strafen jedoch nicht vollständig absitzen: Anfang der 50er Jahre wurden alle Industriellen aus der Haft entlassen.

Friedrich Flick

Schon in den Weimarer Jahren hatte Friedrich Flick ein Firmenimperium geschaffen, das den gebürtigen Siegerländer in eine Reihe mit den großen Industrieunternehmern Krupp, Stinnes und Thyssen rückte. Im Zweiten Weltkrieg stieg der Schwerindustrielle schließlich zu Hitlers wichtigstem Rüstungslieferanten auf. Tausende Sklavenarbeiter und Kriegsgefangene schufteten in Flicks Waffenschmieden, allein 1943 sollen es bis zu 40.000 gewesen sein. Ende 1947 wurde Flick in Nürnberg zu sieben Jahren Haft verurteilt, 1950 kam er frei. Flicks Wiederaufstieg begann: Bei seinem Tod 1972 zählte er wieder zu den reichsten Deutschen, er hielt Beteiligungen an mehreren Konzernen - darunter Daimler. Sein Sohn Karl Friedrich Flick verkaufte das Firmenkonglomerat Anfang der 80er Jahre an die Deutsche Bank.

Die Deutsche Bank

Eines der ersten deutschen Unternehmen, das die selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte durch unabhängige Forscher ermöglichte, war die Deutsche Bank. Eine 1997 eigens eingesetzte Historikerkommission legte die Geschehnisse der Jahre 1933 bis 1945 offen: Führende Vertreter hatten sich demnach den Zielen des Regimes von Anfang an widerstandslos untergeordnet. Als der nationalsozialistische Staat 1938 begann, jüdische Vermögenswerte systematisch einzufrieren, waren auch die jüdischen Kunden der Deutschen Bank betroffen. Bis zum Kriegsende wurden nahezu alle Kontoguthaben und Depotwerte jüdischer Kunden an das Deutsche Reich abgeführt. Die Filiale Kattowitz und die Zweigstellen vergaben außerdem Kredite an Baufirmen, die in Auschwitz beim Bau des IG-Farben-Werks und des Konzentrationslagers tätig waren.

Volkswagen

Der Volkswagen-Konzern folgte dem Beispiel der Deutschen Bank und beauftragte den renommierten NS-Historiker Hans Mommsen, die Unternehmensgeschichte aufzuarbeiten. Die Ergebnisse sind in dem Buch "Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich" erschienen. Demnach wurde das Volkswagenwerk während des Zweiten Weltkrieges auf die Produktion von Rüstungsgütern umgestellt. Dabei kamen - wie Volkswagen auch auf seiner offiziellen Homepage offen darlegt - rund 20.000 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und später auch KZ-Häftlinge zum Einsatz.

Degussa

2003 holte die eigene Vergangenheit die Degussa mit aller Wucht ein: Da wurde publik, dass der Chemiekonzern den Betonverflüssiger und die Schutzbeschichtung für das Holocaust-Mahnmal liefert - ausgerechnet jenes Unternehmen, dessen Name aufs Engste mit Zyklon B verbunden ist, dem Gas, mit dem die Juden in Auschwitz getötet wurden. Die Degussa-Tochter Degesch hatte das Giftgas produziert.

Es war beileibe nicht die einzige Verstrickung der Degussa: In ihren Fabriken arbeiteten Zwangsarbeiter, in ihren Öfen wurde Raubgold geschmolzen, ihr Uran sollte die deutsche Atombombe ermöglichen.

Das Kuratorium der Mahnmal-Stiftung entschloss sich dennoch, das Denkmal unter Einschluss der RAG-Tochter (heute Evonik) weiterzubauen. Es hielt dem Konzern zugute, er sei in den Jahren zuvor offener als viele andere mit der eigenen Vergangenheit umgegangen. Tatsächlich hatte Degussa schon 1997 den renommierten Historiker Peter Hayes mit der Aufarbeitung der Firmengeschichte beauftragt.

Karstadt-Quelle

Dieses Frühjahr zahlte Arcandor, damals noch Karstadt-Quelle, 88 Mio. Euro an die Erben der Kaufhausdynastie Wertheim, und beendete damit einen jahrelangen Rechtsstreit. Die Wertheims, Eigentümer eines der größten deutschen Warenhauskonzerne, waren 1939 von den Nazis enteignet worden. In der Auseinandersetzung ging es um insgesamt 40 Grundstücke in Ostdeutschland und Berlin, die Schätzungen zufolge bis zu 500 Mio. Euro wert sind. Einige davon hatte die Jewish Claims Conference (JCC), die die Interessen der Holocaust-Überlebenden vertritt, in der Vergangenheit bereits zurückbekommen.

Zum Schluss drehte sich der Streit vor allem um das sogenannte Lenné-Dreieck am Potsdamer Platz in Berlin. Dort stehen heute neben dem Beisheim-Center die Luxushotels Ritz-Carlton und Marriott. Die Kaufhauskette Hertie hatte das frühere Wertheim-Grundstück nach der Wende für den symbolischen Wert von 1 DM vom Land Berlin erhalten. Nach der Übernahme von Hertie verkaufte Karstadt das Gelände für 146 Mio. Euro an den Metro-Gründer Otto Beisheim. In dieser Höhe forderten die Wertheim-Erben zuletzt Schadensersatz von KarstadtQuelle.

"Es war ein langer und schwerer Weg, zu diesem Ergebnis zu kommen", sagte JCC-Direktor Roman Haller im April. Ihm sei es am Ende um eine zügige Einigung gegangen: "Was nützt es, wenn die Holocaust-Überlebenden mehr Geld bekommen - aber erst in zehn Jahren, wenn die meisten nicht mehr leben?"

http://www.financial-times.de

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