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Die amerikanische Waffenlobby entdeckt neue

Kundenkreise - Frauen und Kinder.

© Andrian Kreye

Die Firma Galco aus Phoenix in Arizona weiß, was echte Frauen von einer Handtasche erwarten. Zunächst sollte sie an den Randnähten stabil genug verarbeitet sein, um auch beim Transport einer Neun-Millimeter-Selbstladepistole nicht wie ein nasser Sack von der Schulter zu hängen. Außerdem sollte der Eingriff so angebracht sein, dass sich die Taschenträgerin beim Ziehen der Waffe nicht den Nagellack verkratzt. Das läßt sich mit einer Steppnaht am seitlichen Eingriff ohne weiteres vermeiden, und es sind genau solche Details, die den Ruf der Firma Galco als Meisterkürschner für Pistolenhalfter und Flintenfutterale begründet hat. Bonnie Young, eine erfahrene Pistolenschützin, die die beiden neusten Handtaschenmodelle "Dyna" und "Meriden" für die Fachzeitschrift "Women & Guns" getestet hat, war jedenfalls begeistert. Vom frischen Ledergeruch über das zeitlose Design, bis hin zur tadellosen Handhabung der fast geräuschlosen Reißverschlüsse am Pistolenfach erteilte sie den Taschen allerbeste Noten.

Wer nun glaubt, solch wehrhafte Handtaschen seien ein Kuriosum der amerikanischen Lederindustrie, hat sich gründlich getäuscht. Sieben verschiedene Handtaschenmodelle bietet Galco an, und die gehören nach dem vor allem bei Polizeibeamten beliebten Schulterhalfter "Miami" zu den meistverkauften Produkten der Firma. Denn der Gebrauch von Schußwaffen ist in den USA längst keine Männerdomäne mehr. Auch wenn lediglich vierhundertfünfzigtausend Frauen zu den rund drei Millionen eingetragenen Mitgliedern des nationalen Schützenvereins National Rifle Association (kurz NRA) gehören. Das soll sich in Zukunft sowieso ändern. So will es die NRA, aber auch die Hersteller von Handfeuerwaffen, die in Frauen einen lukrativen Markt mit zweistelligen Zuwachsraten entdeckt haben. Schließlich ist der Besitz und Gebrauch von Schußwaffen in den USA ein vom zweiten Vefassungszusatz garantiertes Grundrecht und damit gehört es zu den patriotischen Pflichten dieses Recht nicht nur zu verteidigen, sondern auch wahrzunehmen.

Die Waffenfabrikanten haben sich auf die neue Zielgruppe schon eingestellt. Viele Pistolen und Gewehre sind für Waffenkäuferinnen zu wuchtig, zu schwergängig und auch zu grob im Design. Die Firma Glock hat deswegen ihre Kaliber .45-Pistole abgespeckt, mit einem ergonomischen Griff ausgestattet und den Rückstoß verringert. Die Firma Taurus bietet das Modell PT 111 in hübschen Ausführungen mit Dekogriffschalen aus Walnußholz oder Perlmutt an, und obwohl die handliche Pistole in jede Damenhandtasche paßt, feuert sie satte 9-Millimeter-Patronen, die selbst bei ungenauen Schüssen schwerste Verletzungen verursachen kann. Vorreiter war das Traditionshaus Smith & Wesson, das schon vor über zehn Jahren eine Kollektion handlicher Damenrevolver unter dem Titel "LadySmith" auf den Markt brachte.

Einer massentauglichen Waffenkultur für Frauen steht eigentlich nur noch die testosterongeschwängerte Männerwelt der Waffenfreunde im Wege. Doch auch das soll sich ändern. Die NRA hat zum Beispiel das "Women on Target"-Programm eingerichtet. Da veranstalten die Frauengruppen dann Schießübungen und Jagdausflüge, die oft Monate im voraus ausgebucht sind. Die Bürgerinitiative "Women Against Gun Control" organisiert Frauen gegen die Vorstöße liberaler Politiker, den Waffenbesitz gesetzlich zu regeln. Auf ihrer Webseite werben die Frauen gegen Waffenkontrolle mit einem Zitat ihrer Vorsitzenden Janalee Tobias: "Der zweite Verfassungszusatz ist der Gleichberechtiungszusatz" und prangern auf einer schwarzen Liste prominente Waffengegnerinnen wie Hillary Clinton, Yoko Ono und Madonna an. Und vorvergangene Woche veranstaltete die Zeitschrift "Women & Guns" in Nashville, Tennessee die erste "Shooting for Women" Conference.

Um zu verstehen, warum sich die wehrhaften Frauen so unbedingt von ihren männlichen Schützenvereinskameraden emanzipieren wollen, sollte man am besten einen jener unzähligen Schießplätze besuchen, die man im amerikanischen Hinterland in so ziemlich jedem Dorf finden kann. Gleich in der Nähe von Hot Springs in Arkansas zum Beispiel, einem sonst eher familienfreundlichen Kurort, der vor allem für seine Thermalquellen bekannt ist. Deswegen wirbt der nahegelegene Schießplatz auf seinem Flugblatt im Fremdenverkehrsamt auch mit der fröhlichen Dachzeile "Fun für die ganze Familie", und dem Versprechen: "Hier können Sie die ganz großen Dinger ausprobieren".

Der Weg zum Hot Springs Rifle Range führt ein paar Meilen vom Ortsrand über eine Schotterstraße in die grünen Hügel und Weiden. Am Viehgatter zum Grundstück wartet schon der Platzwart Larry, ein vierschrötiger Herr mit ausladend tätowierten Unterarmen, der die Wiese hinter seinem Farmhaus vor ein paar Jahren in einen Schießplatz und seine Waffensammlung in ein Mietarsenal verwandelt hat.

Larry hat nicht zu viel versprochen. Für fünfzig Dollar darf man sich fünf verschiedene Waffen aussuchen, für die man jeweils ein vollgeladenes Magazin bekommt. Das Ansinnen, eine Kopie des Kalaschnikow-Schnellfeuergewehrs doch erst einmal im Einzelfeuer auszuprobieren redet er einem mit burschikosem Lachen aus. "Komm', da willst Du doch mal so richtig abspritzen", feixt er und führt einen zum eigentlichen Schießplatz. Dort stehen ein paar Autowracks, Sandhaufen, Blechfiguren. Die Parallelen zur männlichen Erotik erschließen sich dabei ganz schnell. Mit enormer Wucht hämmert das Gewehr die dreißig Kugeln innerhalb von drei Sekunden in die Landschaft. Das Pfeifen und Scheppern der Querschläger in den Karosserien, die Staubwolken und Erdfontänen erhöhen den Lustgewinn wie versprochen beträchtlich. Als Larry seine Gäste dann als Höhepunkt der Nachmittages zu einem schweren Maschinengewehr führt, das fingerdicke Leuchtspurprojektile verfeuert, entfahren den Herren ganz eindeutige Lustschreie.

Man kann sich aber auch mit einem typischen Vertreter des traditionell eher konservativen Bevölkerungssegmentes der Waffenträger unterhalten. Mit dem Flintenmacher Wiley Burt beispielsweise, der auf einer Waffenmesse in Jackson, Mississippi neulich einen Stand unterhielt. "Meine Frau trägt immer eine Waffe bei sich", sagte er. Auf die Frage, welche Pistole er den Frauen empfiehlt, kam ohne Überlegen die Antwort: "Einen Revolver. Egal welchen." Begründen konnte er das auch: "Frauen können ja einen Haushalt ganz gut zusammenhalten und vielleicht auch die Buchhaltung. Da haben sie uns Männern ja was voraus. Aber in Stressituationen reagieren sie doch meistens etwas emotional. Weil aber halbautomatische Pistolen schon mal klemmen können, ist es besser, sie nehmen einen Revolver. Der funktioniert immer und man muß sich da nicht groß mit der Technik auseinandersetzen.

Kein Wunder also, dass die Chefredakteurin der Zeitschrift "Shooting & Women" Susan Long die viertägige Konferenz in Nashville als Veranstaltung propagierte, auf der sich "weibliche Waffenenthusiasten wohl fühlen sollen, die mit der üblicherweise von Männern geprägten Atmosphäre von Schützentreffen nichts anfangen können". Dementsprechend ungewöhnlich war auch das Programm. Sicher, da gab es auf einem nahegelegenen Schießstand die üblichen Waffenkurse, Zielübungen für alle Kaliber und Training im Tontaubenschießen. Aber in den Konferenzräumen des Hotel Opryland gab es auch Bastelseminare, Kochkurse und eine Pyjama Party, auf der sich die Teilnehmerinnen beim Nägellackieren über die "größten Unverschämtheiten auf dem Schießplatz" und die "frechsten Antworten auf dumme Sprüche" austauschen konnten.

Der flotte Ton konnte allerdings nicht über die grundlegende Botschaft hinwegtäuschen, mit denen der Waffengebrauch für Frauen propagiert wird. Kurse im, Häuser-, Nah- und Straßenkampf, ein Seminar über Vergewaltigungen und eines über die Grundlagen der Selbstverteidigung erinnerten die Frauen daran, dass sie als potentielle Opfer von Einbrechern, Straßenräubern und Vergewaltigern ständig um Leib, Leben und Besitz fürchten müssen. Angst, nicht Sportsgeist soll die Frauen an die Waffen bringen.

Das Grundlagenwerk dazu hat vor einigen Jahren die NRA-Lobbyistin Tanya Metaksa geschrieben. "Safe Not Sorry: Keeping Yourself and Your Family Safe in Violent Age", heißt der 240 Seiten starke Ratgeber. Da gibt es Tips für den Alltag. Das fängt im Haushalt an. Busch- und Pflanzenwerk sollte um das Haus herum so klein gestutzt werden, dass sich auch bestimmt kein erwachsener Mann dahinter verstecken kann. Ein Handy sollte auch zu Hause immer griffbereit sein, falls ein Eindringling die Leitungen gekappt hat. Schußwaffen sollten strategisch, unsichtbar und in möglichst vielen Räumen aufbewahrt werden, damit die Dame des Hauses auch überall gewappnet ist.

Dazu liefert Tanya Metaksa Fakten, Fakten, Fakten: drei von vier Frauen werden irgendwann in ihrem Leben Opfer eines Verbrechens. Über die Hälfte aller Gewaltverbrechen bleiben unaufgeklärt. Die Hälfte aller Vergewaltiger verbüßen höchstens ein Jahr im Gefängnis. Ehemänner und Liebhaber seien ebenfalls keine Garantie für Sicherheit - zwei Drittel aller weiblichen Opfer einer Gewalttat kannten die Täter persönlich. Was bleibt also, außer dem Griff zur Waffe? Schließlich verteidigt eine Frau meist nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Leben ihrer Kinder. Für die Kleinen war auf der Konferenz jedoch ebenfalls gesorgt. Für die gab es Einführungen in die Waffenkunde, Bogenschießen, Cowboyspiele und erste Zielversuche an der Waffe. Immerhin sind Kinder neben Frauen laut Susan Long das Schützensegment mit den größten Zuwachsraten.

Auch darauf haben sich die Waffenhersteller eingestellt. Die Firma Remmington versichert in ihrem Katalog, die Gewehre ihrer Youth-Gun-Series seien zwar von der Größe her so dimensioniert, um auch kleinen Schützen ein Höchstmaß an Balance und Präzision zu erlauben, würden aber in punkto Durchschlagkraft keine Kompromisse eingehen. Auch die NRA kümmert sich schon um die ganz Kleinen. Für die gibt es ein Maskottchen namens Eddie Eagle, einen fröhlichen Comicadler, der in Bilder- und Malbüchern, aber auch als kostümierter Besuch in der Schule. Sicherheit mit Schußwaffen will Eddie Eagle lehren. Aber auch das Vertrauen in die Waffe schlechthin. "Waffen sind gut - nur Menschen sind böse", sagt Eddie Eagle da. Das ist die kindgerechte Version des klassischen NRA-Slogans "Waffen töten keine Menschen - Menschen töten Menschen."

Es gibt gute Gründe, warum sich die NRA so rührend um Frauen und Kinder kümmert. Frauen gelten in der politischen Statistik als potentielle Waffengegner, müssen also mit allen Mitteln ins Lager der Schützen geholt werden, denn Waffengegner wählen aber potentiell Politiker ins Amt, die der Waffenindustrie per Gesetz das Leben schwer machen. Kinder aber sind die Waffennarren von morgen. Denen muß schon rechtzeitig gesagt werden, wo der Feind steht. So kann man im Eddie-Eagle-Malbuch nachlesen, dass die Vereinten Nationen Amerika nur Übles wollen. Die Waffen wollen sie den Bürgern nehmen und somit auch die Freiheit. Da rüste sich schon früh, eine jeder der da wehrhaft bleiben will. Und man darf sich nichts vormachen, wozu die Handtaschen von Galco einen Eingriff für Schußwaffen haben. Auf dem Sportplatz braucht man die jedenfalls nicht.

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