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Jäger und Gejagte


9mm

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Von Alexander Smoltczyk

Global Village: In einer italienischen Kleinstadt kämpft die 500 Jahre alte Waffenfabrik Beretta mit der Globalisierung.

Der Röntgen-Metalldetektor im Eingangsbereich vermerkt wieder nur das Übliche: eine 9-Millimeter-Pistole, ein Jagdgewehr "Beretta Silver Pigeon", Kaliber 20 - was eben alles so das Werk verlässt. Die drei anderen Gewehre dort werden schon gar nicht mehr durch den Scanner geschickt: "Soll ich mit anpacken?", fragt der Pförtner.

Gardone Val Trompia ist ein zwischen die lombardischen Alpen gezwängtes Städtchen mit amtlicherseits 10.800 Einwohnern und einem Ausstoß an Feuerwaffen von täglich über 1500 Stück.

Das Hauptgebäude der Fabbrica d'Armi Pietro Beretta ist als Jagdschlösschen getarnt. An den Wänden hängen fliehende Hasen in Öl, erlegte Fasane, hetzende Hunde. Am Besuchertisch (altdeutsch, Eiche) sitzt Jarno Antonelli (jung, vom Marketing) und sagt: "Auskünfte? Kann nur die Eigentümerschaft geben."

Das heißt: ein richtiger Beretta, ein Nachkomme jenes Geschlechts, das in Gardone Waffen schmiedet, mittlerweile in der 16. Generation. Es gibt eine Quittung aus dem Jahr 1526, als die Republik Venedig bei Bartolomeo Beretta eine Ladung Arkebusenläufe geordert hatte. "Aber vermutlich gab es die Fabrik schon, als Kolumbus sich einschiffte", sagt Jarno Antonelli und führt durch die Montagehalle, wo Läufe nachgefeilt, Schlagbolzen eingesetzt, Kammern befestigt werden. Verbotsschilder untersagen das Rauchen und die Mitnahme von Munition, "auch in entschärftem Zustand".

Draußen ist ein graugestrichenes Boot mit Doppelrumpf zu sehen, im Bug eine leichte Kanone mit drei Meter langem Lauf: "Für die Entenjagd", sagt Antonelli.

Es ist für den Laien bisweilen schwer, zwischen ziviler und militärischer Nutzung zu unterscheiden.

Beretta gilt als eine Art Gucci unter den Waffenschmieden. Ausdruck norditalienischen Genies, Geschmacks und Kunstfertigkeit. Elegant wie keine andere, stylisch und leicht zu handhaben - und seit neuestem auch dezidiert wüstentauglich, auf besonderen Wunsch. In Bagdad darf ein Magazin nicht klemmen.

Napoleon war Kunde, die Regierungen Metternich und Mussolini, ebenso Hemingway, Schwarzenegger und George W. Bush. Aber auch John Kerry benutzt die 80.000-Euro-Bockdoppelflinte "Beretta SO9" mit Walnussholzschaft und meisterlichen Ziselierungen. Als einer der erlauchteren Beretta-Liebhaber wurde bis vor kurzem noch Viktor Emanuel von Savoyen geführt, Sohn des letzten italienischen Königs und zurzeit wegen krimineller Machenschaften unter Hausarrest. 1978 erlegte der Prinz vor Korsika mit seinem Jagdgewehr einen deutschen Studenten.

"Fragt man denn einen Banker, was mit seinen Krediten angestellt wird?", fragt Antonelli, jetzt zu Recht ein wenig aufgebracht über die ewig gleichen Laienfragen. "Die Mafia raubt sich ihre Waffen. Die bestellen gewiss nicht bei uns."

Antonelli erinnert an die "92FS"-Pistole, Standardwaffe der Polizei in 22 US-Staaten, bei der französischen Gendarmerie, der Guardia Civil in Spanien und in Italien sowieso. Die "9000 S"-Pistole ist von dem Automobildesigner Giorgetto Giugiaro (Alfa Romeo Giulia, Fiat Panda) gestaltet worden, "kurvig, sehr angenehm und doch leicht aggressiv". So wurde früher über die Loren gesprochen.

Mit weit ausholenden Bewegungen greifen gelbe Roboter nach kleinen Bauteilen, packen sie, halten plötzlich inne, als wollten sie erlauschen, was Antonelli über sie zu sagen hat: "Alle aus italienischer Produktion. Aus Piacenza. Das sind zig Millionen Investition."

Geld, richtig Geld sei eben nicht mehr zu verdienen mit Waffen. Gerade mal 20 Millionen Euro Gewinn im Jahr 2005 bei 400 Millionen Umsatz weltweit. Viele der anderen Waffenfirmen im Tal hätten bereits aufgeben müssen. "Wir machen nur noch zwei bis drei Prozent unseres Umsatzes mit Verteidigung" - er meint militärische Verteidigung -, "das größte Geschäft sind Jagd- und Sportwaffen."

Die Globalisierung fand die Berettas nicht unvorbereitet. Pier Giuseppe Beretta, der Vater des heutigen Chefs, hatte in den sechziger Jahren die Angriffe von Umweltschützern und Jagdfeinden abwehren müssen. Er begann, im Ausland aktiv zu werden. Es war Notwehr. Heute gibt es Beretta-Shops in Buenos Aires, London, an den Champs-Élysées und der Madison Avenue. Dort werden Gentleman-Mäntel, Sportbrillen, Uhren und Taschenmesser verkauft, unter anderem.

"99 Prozent aller Teile unserer Waffen werden in Gardone gefertigt", bringt sich Jarno Antonelli in Erinnerung und öffnet die Tür zum Firmenmuseum. In Vitrinen liegen Karabiner, Steinschlossgewehre, Sturmgewehre und Taschenpistolen für die Dame, dazwischen ein Satz Duellpistolen, den Bonapartes Schwester ihrem Ehemann schenkte, aus welchem Grund auch immer. Es sind Hunderte, an die tausend Waffen.

Das Museum ist in Wahrheit der Heilige Gral der Firma. Ihr Geheimnis. Um nicht zum Gejagten zu werden, hielten sich die Berettas fern von der Hauptstadt und den dortigen Moden. Kein Beretta ging je in die Politik oder versuchte sein Glück mit Off-Shore-Firmen auf den Jungferninseln. "Wir haben überlebt, weil wir immer in Gardone gelebt haben, wir haben uns immer auf eine Sache konzentriert: Feuerwaffen zu bauen."

Das war das Vermächtnis des Pier Giuseppe Beretta. Gut machen, was man gut kann, und ansonsten immer schön die Knarre im Dorf lassen.

Quelle = spiegel.de

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