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Umstrittene Broschüre der US-Waffenlobby


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Mit Vorurteilen auf Spendenfang

Die "Freiheit in Gefahr" titelt eine Broschüre der US-Waffenlobby - und meint damit alle Angriffe auf das Recht, Waffen zu tragen. Die in dem Pamphlet beschworenen Vorurteile scheinen inzwischen selbst dem Urheber peinlich zu sein. Zu spät, die Diskussion in den US-Medien ist voll entbrannt.

Von Wulf Rohwedder, tagesschau.de

Auf dem Cover fliegt ein Weißkopfadler, Wappentier der Vereinigten Staaten, einer dunklen Sturmfront entgegen."Die Freiheit in Gefahr - den zweiten Verfassungszusatz im 21. Jahrhundert schützen" lautet der Titel einer Broschüre, deren Entwurf dem Politik-Blog "wonkette.com" in Washington, D.C. zugespielt wurde. Der zweite Verfassungszusatz gibt US-Bürgern das Recht, Waffen zu tragen - und vor wem es dieses zu schützen gilt, macht das Pamphlet mehr als deutlich: Die wahren Feinde sind nicht etwa Terroristen oder Kapitalverbrecher, sondern sinistre Finanzmogule, die Vereinten Nationen, verkommene Politiker, Gangs und sensationsgeile Journalisten.

Kein Klischee ausgelassen

"Die Freiheit in Gefahr" erinnert in Teilen an Propagandapamphlete totalitärer Staaten. Die Autoren arbeiten auf perfide Weise mit Ängsten und Klischees - bis hin zum offenen Rassismus und Sexismus, um den Waffennarren klar zu machen, wo der Feind steht. Ganz oben auf der Liste steht Investmentbanker und Philanthrop George Soros. Der ungarische Jude, der in seiner Kindheit und Jugend den Naziterror erlebt hat, wird in der Broschüre als "Anführer eines globalen Dschihads" bezeichnet, zudem wird ihm Gotteswahn unterstellt. Soros zur Seite stehen Politiker wie Hillary Clinton, Ted Kennedy, John Kerry, kurz: alle, die gewagt hatten, über eine Kontrolle der Waffenabgabe auch nur laut nachzudenken.

Perfides Spiel mit der Angst

Weitere Feinde, die in der Broschüre angeführt werden: Die Vereinten Nationen und der böse, übermächtige Staat, der selbst in Katastrophenzeiten nichts besseres zu tun hat, als unschuldigen Bürgern die Waffen abzunehmen. Und dann sind da noch die "Tierrechts-Terroristen" und vor allem Banden von Schwarzen, Latinos, Asiaten und Osteuropäern. Sie alle sind laut der Broschüre gefährlicher als die Al-Kaida-Terroristen - und die Polizei sei aufgrund der Gesetzeslage machtlos und werde sogar von Politikern aktiv daran gehindert, das Problem in Angriff zu nehmen.

Wer steckt dahinter?

Solche Verschwörungstheorien kennt man eigentlich nur von radikalen Splittergruppen und Endzeitfanatikern. Mit der Broschüre erreichen sie jedoch eine neue Dimension: Das hochprofessionelle Produkt "Die Freiheit in Gefahr" trägt das Logo der National Rifle Association (NRA), mit rund vier Millionen Mitgliedern einer der größten und einflussreichsten Interessensvertretungen der USA - mit eigenen Radio- und TV-Shows, Vollzeitlobbyisten und einem massiven Einfluss, insbesondere auf konservative Politiker.

Zweifel an der Authentizität

Schnell wurde im Internet allerdings die Urheberschaft der Broschüre angezweifelt: Selbst für die oft nicht zimperliche NRA seien die dargestellten Meinungen zu extrem. In dem ersten Artikel auf "wonkette.com" wurde zunächst offen gelassen, ob die Waffenlobby wirklich hinter dem Pamphlet steht. Einige NRA-Anhänger glaubten sogar, das Pamphlet sei produziert worden, um die Lobby-Organisation zu diskreditieren. Einer von ihnen kündigte sogar an, seine Mitgliedschaft zu kündigen, falls sich der Entwurf als echt erweisen würde.

Der Entwurf wird auseinandergenommen

Der Webmaster einer Pro-Waffen-Website in Kalifornien meinte durch Datenanalyse die Urheberschaft eines Satiremagazins beweisen zu können, musste später aber zugeben, dass er einem Irrtum aufgesessen war. Anderen Bloggern gelang es derweil, diverse versteckte Kommentare aus der im Internet zirkulierenden PDF-Datei zu extrahieren. Darin wird der Illustrator zum Beispiel angewiesen, ethnische Stereotypen zu verwenden: "Eindeutig asiatische, schwarze, weiße und Latino-Bandenmitglieder". Weiterhin gibt der ungenannte Redakteur Illustrationsvorschläge: "George Soros (gottesgleich) sitzt auf Geldstapeln, überall um ihn herum brennen Waffen."

NRA bestätigt Urheberschaft

Zu den Verschwörungstheorien trug zudem bei, dass sich die NRA selbst zunächst nicht zu der Veröffentlichung äußerte. Durch die Diskussion im Internet wurden jedoch auch die Medien in den USA auf das Pamphlet aufmerksam. Während die NRA zunächst alle Bitten um Auskunft ignorierte - auch telefonische und E-Mail-Anfragen von tagesschau.de blieben unbeantwortet -, bestätigte ein Sprecher schließlich gegenüber ABC News und der "Washington Post", dass das umstrittene Pamphlet tatsächlich von der NRA in Auftrag gegeben wurde.

Alles eine Konspiration?

Bei der im Internet zirkulierenden Datei handele es sich noch nicht um die Endfassung, sondern um eine Vorversion, die aus dem NRA-Hauptquartier gestohlen worden sei, so der Sprecher weiter. Die NRA plane jedoch nicht, aufgrund der Proteste irgendwelche redaktionellen Änderungen vorzunehmen. Gleichzeitig verwendete die Organisation einige der Bilder aus der Broschüre für den Titel der Januarausgabe ihres Mitgliedermagazins. Dies führte im Internet zu neuen Diskussionen: Dass ausgerechnet aus dem streng bewachten Hauptquartier der Waffenlobby ein Dokument gestohlen werden sollte, sei doch ziemlich unwahrscheinlich, argwöhnte die "Washington Post". Einige Blogger vermuteten eine gezielte Publicity-Maßnahme der NRA, andere einen Testballon, um mögliche Reaktionen auf das Pamphlet zu testen.

Das Ziel: die Brieftasche der Verängstigten

Die meisten Leser waren sich jedoch über eine Tatsache einig: Die Zielsetzung der Broschüre. Die wird in ihrem Epilog auch deutlich formuliert: Der "Sieg könne nicht allein durch die Massen getragen werden". Deshalb appelliert die NRA gezielt an die Ängste und Vorurteile der konservativen, finanziell potenten Elite des Landes: "Eine Handvoll fähiger Amerikaner kann diese bedeutsame Gelegenheit wahrnehmen." Und diese möchten doch bitte der NRA ihr Geld geben, um in dieser "entsetzlichen Stunde ... die sich auftürmenden Wellen des herannahenden Sturms" zu brechen.

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