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Western Frontier Reloaded


Sergeant-Miller

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Freier Waffenbesitz gilt in den USA als Grundrecht. Dennoch: Nach dem Amoklauf von Blacksburg scheinen selbst Hardliner zu Änderungen bereit zu sein. Ganz ohne Waffen geht es jedoch nicht ? der Mythos Selbstschutz ist viel zu stark.

VON ALBRECHT MANGLER - http://www.europolitan.de

Der Amoklauf an der Virginia Tech University in Blacksburg ist das letzte Kapitel einer blutigen Reihe von schrecklichen Taten. Der 23jährige Südkoreaner Cho Seung-Hui, der zuvor schon durch Gewaltphantasien aufgefallen war, tötet mit halbautomatischen Waffen insgesamt 32 Menschen und verletzt 29 weitere. Danach erschießt sich der Englischstudent selbst. Virginias Gouverneur Tim Kaine erklärt nach der Tat schockiert den Notstand, Hochschulpräsident Charles Seeger spricht in einer ersten Reaktion von einer Tragödie ungeheueren Ausmaßes. Fast gleichzeitig beginnt in Europa und Amerika die Diskussion um schärfere Waffengesetze in den USA.

In Virginia beispielsweise kann jeder Bürger über 18, der nicht polizeilich bekannt ist, eine Waffe kaufen ? ein Recht, das der zukünftige Amokläufer leidlich genutzt hat. Dennoch: George W. Bush spricht sich in einer Stellungnahme deutlich dafür aus, das Recht auf Waffenbesitz in der Folge des Amoklaufs von Blacksburg nicht zu verändern. Die bestehenden Gesetze reichten aus und müssten lediglich befolgt werden. Die Demokraten hingegen sprechen sich mantraartig für eine stärkere Waffenkontrolle aus ? zumindest der Zugang zu Waffen müsse kontrolliert werden. Ein in dieser Form wohl aussichtsloses Unterfangen, denn zwei Drittel der US-Bevölkerung lehnen eine strengere Waffengesetzgebung ab.

"Waffen retten Leben"

Zu Zeiten der Western Frontier, der Besiedlung der USA, in denen der nächste Gesetzeshüter mehrere Reitstunden entfernt war, musste die Herde, das Land und vor allem das Leben der Familie beschützt werden. Der Revolver unterm Kopfkissen stellte damals eine wichtige Lebensversicherung gegen Banditen, Viehdiebe und andere Kriminelle dar. So gesehen ist es nur konsequent, dass Larry Pratt, seines Zeichens Exekutivdirektor der Lobbyorganisation Gun Owners of America in bester Wildwest-Manier vorträgt, dass alle in den letzten zehn Jahren kurzfristig verhinderten Schulschießereien eines gemeinsam hätten: Das beherzte Eingreifen eines gesetztreuen Bürgers mit Waffe.

Dieser Logik zufolge müssten alle Studenten mit Waffe und Sheriffstern zum Seminar erscheinen um sich im Zweifelsfall selbst gegen einen Amokläufer verteidigen zu können. In dieser Aussage findet das Leben auf der Farm Mitte des 18. Jahrhunderts ihre pulverdampfschwere Resonanz. Obwohl die Wildwestromantik der Waffen-Lobby zum Glück nicht häufig auf offene Ohren stößt, in einem scheinen sich viele Amerikaner einig: Nicht die Waffe tötet, sondern der Mensch. Und ein ehrlicher Bürger sollte das Recht haben, eine Waffe zu besitzen, nicht zuletzt um sich selbst schützen zu können ? und wieder findet der Mythos vom gefährlichen Leben in der Wildnis des Einzelnen einen Widerhall.

Vom Recht auf eine Waffe

Eben dieses Recht, grundsätzlich frei eine Waffe besitzen zu können mutet in Europa seltsam an. Wurde doch hierzulande nach dem Amoklauf von Erfurt quasi über Nacht das ? gemessen an amerikanischen Maßstäben ? strenge Waffengesetz noch weiter verschärft. Die Politik musste reagieren und tat das auch. Die amerikanische Regierung erscheint aus europäischer Perspektive diesbezüglich seltsam passiv und das nicht nur wegen Ereignissen wie in Littleton und Blacksburg, sondern auch wegen der alarmierend hohen generellen Zahl an Waffenopfern.

Rund 14.000 Menschen kamen 2005 durch Schusswaffen ums Leben ? zum Vergleich: Im selben Jahr starben in Deutschland 5.361 Menschen bei Verkehrsunfällen. Durch eine restriktivere Gesetzgebung hätten mit Sicherheit nicht alle Opfer vermieden werden können, aber die Tatsache dass es in Bundesstaaten wie Virginia kinderleicht ist wie Cho Seung-Hui legal an halbautomatische Waffen zu kommen macht es entsprechenden Personen leichter, ihre Gewaltfantasien in blutige Realität umzusetzen. Stellt sich die Frage was mehr wiegt, Amokläufe von Einzeltätern oder die gefühlte Möglichkeit der Bürger, sich im Ernstfall selbst verteidigen zu können

Selbstverteidigung vs. School-Shooting

Der Mythos des Waffenbesitzes zur Selbstverteidigung gründet sich auf das Bild eines gesetzestreuen Bürgers, der nicht anderes im Sinn hat, als sich und seine Lieben vor bösartigen Übergriffen zu schützen, sein Leben und seinen Besitz zu verteidigen. Dass in mehr als einem Drittel der amerikanischen Haushalte eine Waffe zu finden ist, zeigt deutlich, wie fest dieser Glaube im kollektiven Bewusstsein verankert ist. Ist allerdings eine halbautomatische Pistole oder eine AK-47 eine angemessene Waffe zum Selbstschutz? Genau darüber scheint nach den Ereignissen von Blacksburg eine Diskussion möglich zu sein.

Der Mythos, dass freier Waffenbesitz ausschließlich den gesetzestreuen Bürgern nützt, bröckelt. Es zeigt sich, dass der amerikanische Traum eines selbstbestimmten Lebens nicht mehr von Waffen zur Selbstverteidigung gegen die Widrigkeiten der Prärie abhängig ist, sondern vielmehr von Menschen, die den Mut haben, in einer modernen Gesellschaft zusammenzuleben, und das Glück des Einzelnen bis zu einem gewissen Grad gemeinsam in die Hand nehmen. Aus europäischer Sicht eine überfällige Erkenntnis: Nicht Waffen töten, sondern Menschen mit ihnen.

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