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Krieg spielen in Deutschland


Gunman

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Um sich das Studium zu finanzieren, können Hochschüler für 90 Euro am Tag als Zivilisten an Manövern der U.S. Army in Deutschland teilnehmen. Ist das politisch korrekt? Wie fühlt es sich an, dem Militär als potenzieller Kolla­teralschaden zu dienen?

Von FOCUS-CAMPUS-Autorin Carolin Mader

Eine malerische Berglandschaft in Bayern. Bewaldete Hügel. Rauschende Bäche. Singende Vögel. Drei Wochen seiner Semester­ferien hat der Göttinger Student Jonas in dieser Umgebung verbracht. Auf den ersten Blick eine perfekte Naherholungsidylle ? würden durch das kleine Dorf, in dem Jonas wohnt, nicht ständig Panzer rollen und uniformierte Soldaten patrouillieren. Doch Jonas ist auch nicht zum Urlauben hierher nach Hohenfels, zwischen Nürnberg und Regensburg gelegen, gekommen. Sondern, um Geld zu verdienen ? als ein sogenannter ?Civilian on the Battlefield?, ziviler Statist bei einem Manöver der U.S. Army.

Casting fürs Kriegspielen

Am Anfang war eine Zeitungsanzeige. Verkatert blättert Jonas am Frühstückstisch seiner Wohn­gemeinschaft das Nachrichtenblatt durch, als ihn die Annonce einer Casting-Agentur wach werden lässt: ?Statisten für Rollenspiele bei Manövern der U.S. Army gesucht?. Einige Tage später sitzt er im Konferenzraum eines großen Hotels einer Jury gegenüber, beantwortet in einem Vorstellungsgespräch Fragen zu seinem polizeilichen Führungszeugnis und über seine Englischkenntnisse. Nach einem obligatorischen ?Lächeln für die Fotokartei? und der Angabe weiterer persönlicher Daten scheinen die Veranstalter des Castings zufrieden. ?Schon ein paar Tage darauf konnte ich ein Bestätigungs­schreiben aus dem Briefkasten fischen?, erinnert sich der Student an das Auswahlverfahren. Seit 1999 suchen die US-amerikanischen Streit­kräfte für ihre Manöverübungen in Deutschland regelmäßig Zivilisten. Ein Kurzzeitjob, der sich anscheinend größter Beliebtheit erfreut. Offizielle Zahlen werden zwar nicht genannt, aber vor allem Studenten und jüngere Arbeitslose interessierten sich für die Stellen, heißt es. ?Es ist halt schnell verdientes Geld?, erklärt Jonas die Motivation. Und schiebt hinterher: ?Wo bekommt man sonst 90 Euro pro Tag?? ? es klingt so, als wolle er sich für den Job rechtfertigen.

Traumjob Bürgermeister

Etwa siebenmal pro Jahr ziehen die ausgewählten Bewerber für jeweils knapp drei Wochen in die Trainingsdörfer ein, wo sie dann ihre Rollen spielen. Je nach Vorkenntnissen werden die Statisten als einfache Bürger eingesetzt. Oder, im besten Fall, als Bürgermeister. Der darf dann sogar mit den ?Befreiungstruppen? verhandeln. Weil es sich um ein militärisches Sperrgebiet handelt, lässt die US-Armee das Dorf nicht fotografieren. Jonas verrät aber, dass es nicht aus Kulissen bestehe. Für die jeweils zehn bis 50 Dorfbewohner gibt es richtige Gebäude ? Kirchen, Bauern­höfe, Wohnhäuser. Sogar einen Puff. Untergebracht werden die ?Zivilisten? allerdings in Kasernen auf dem Armeegelände. ?Nicht gerade ein Luxushotel ? aber nach ein paar Tagen hat man sich an die Doppelstockbetten und die durchgelegenen Matratzen gewöhnt?, erzählt Jonas.

Kein Alkohol und keine Drogen

Die militärische Unterbringung hat ihren Grund ? für die ?Civilians on the Battlefield? gelten strenge Vorschriften. Jonas: ?Wer denkt, er könne hier während der drei Wochen Party machen, hat sich geschnitten. Alkohol und andere Drogen sind auf dem Gelände streng verboten.? Die Military Police würde sogar Alkoholkontrollen durchführen. ?Wer erwischt wird, für den geht?s sofort nach Hause?, weiß Jonas. Für das autoritäre Auftreten gibt es allerdings gute Gründe. Ganz ungefährlich ist der Job nämlich nicht. Die fremde Umgebung und die Beson­derheit einer militärischen Situation ? vielen der Teilnehmer vollkommen unbekannt ? würden für eine ständige psychische Anspannung sorgen, die auf Dauer durchaus belaste. ?Außer­dem ist ein Militärgelände kein Kinderspielplatz?, so Jonas. ?Wir mussten die ganze Zeit Detektoren ? sogenannte ?Miles? ? tragen. Die geben Infrarotsignale von sich, mit denen uns die Soldaten als Zivilisten erkennen. ?Trotzdem würde man bei der Einweisung, in der auch die Rollen verteilt werden, von Supervisoren auf die theoretischen Gefahren hingewiesen. ?Zur ?Beruhigung? hat man uns mitgeteilt, dass bisher immer nur Soldaten von Panzern überrollt worden seien?, so Jonas. Dem einen oder anderen begeisterten Kriegsspieler dürfte hier trotzdem das erste Mal mulmig werden.

Den Ernstfall proben

Überhaupt ist der Job kein Kluburlaub: ?Civilian on the Battlefield? bedeutet drei Wochen lang täglich um fünf aufzustehen, rund um die Uhr Panzer­geräusche ertragen zu müssen, von der Außenwelt isoliert zu sein und auf einem riesigen Mili­tär­ge­lände ständig überwacht zu werden. In einem Internetforum tauschen sich Teilnehmer begeistert aus: ?Richtig geil? ginge es da zur Sache. Äußerungen, aus denen die US-Armee allerdings nicht schließen sollte, dass die Statisten kritiklos zu ihr stehen.

Im Gegenteil nennen einige als ?Highlight?, dass sie die Soldaten beleidigen durften. Jonas kommentiert kühl: ?Das müssen die aushalten. Schließlich soll sie das Manöver ja auf genau solche Extremsituationen vorbereiten.? Tatsächlich ist die Konfrontation mit ?Civilians on the Battlefield? für amerikanische Soldaten die letzte Ausbildungs­etappe, bevor es für sie in eines der Krisengebiete geht, in welche die US-Regierung ihre Truppen weltweit entsendet. Für sie sind die Manöver eine wichtige Vorbereitung auf den Ernstfall. Für die teilnehmenden Studenten sind die­se dagegen nicht mehr als ein bizarrer, aber durchaus lukrativer Nebenverdienst.

Der 10-Punkte-Plan für den Studenteneinatz

Zehn Dinge, die einen Statisten bei der U.S. Army erwarten:

Die An- und Abreise zu den Manövern erfolgt mit Bussen.

An den ersten beiden Tagen findet eine Einführung statt.

Alle Teilnehmer müssen einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mitbringen; Handys und Laptops sind aus Sicherheitsgründen nicht gestattet.

Ansprechpartner für private Angelegen­heiten sind Supervisoren; für Fragen auf dem Übungsgelände sind Teamleader zuständig.

Das Verlassen des Kasernengeländes ist während der gesamten Veranstaltungsdauer nicht gestattet ? es sei denn, du musst zum Arzt.

Deine Unterkunft muss saubergehalten und am Ende in einwandfreiem Zustand übergeben werden.

Der Tagesablauf beginnt in der Regel mit dem Aufstehen um fünf Uhr. Frühstück ist um sechs Uhr, Einsatzbeginn um sieben. Die Verpflegung beinhaltet drei Mahlzeiten am Tag, Trinkwasser wird zur Verfügung gestellt.

Alle Manöver werden ausschließlich mit Platzpatronen durchgeführt.

Die Lohnabrechnung erfolgt nur auf Lohnsteuerkarte.

Die nächste Auswahlrunde findet voraussichtlich Anfang September 2007 statt; Näheres unter www.firma-dss.de/cotb.htm.

Wie wird man Statist?

Bernd Specker ist verantwortlicher Geschäftsführer der SST GmbH, die mit der Durchführung des ?Civilians on the Battlefield?-Programms beauftragt ist

FOCUS-Campus: Wofür genau suchen Sie Statisten?

Bernd Specker: Es gibt ethnisch offene Übungen ? etwa für KFOR-Truppen ?, bei denen sich Statisten aller Her­kunftsländer bewerben können, und Übungen, bei denen die Statisten arabischen Ursprungs sein müssen. Beide dienen den Armee-Mit­glie­dern als Training für ihre Ausland­seinsätze.

FOCUS-Campus: Wie wird man Statist?

Specker: Man kann sich entweder bei der mit dem Personalrecruitment beauftragten Firma DSS in Rostock bewerben ? oder man kommt zu den Castings, die rechtzeitig annonciert werden.

FOCUS-Campus: Wie läuft so ein Casting ab?

Specker: Die Bewerber werden in das Geschehen auf dem Joint Multinational Trainingscenter (JMTC) Hohenfels eingewiesen. Jeder von ihnen erhält eine umfassende Information über den Job und die Umstände und Regeln auf dem Truppen­übungsplatz. Weiter werden die englischen Sprachkenntnisse der Teilnehmer geprüft. Einige Bewerber erhalten als Schlüsseldarsteller besondere Rollen, andere müssen als Übersetzer dienen. Dafür müssen sie besondere englische Sprachkenntnisse besitzen.

FOCUS-Campus: Wer kann sich überhaupt bewerben?

Specker: Generell jeder zwischen 18 und 70 Jahren, egal, ob männlich oder weiblich. Wichtig ist, dass du etwas schauspielerisches Talent besitzt, du eine kleine Rolle darstellen und ruhig und besonnen mit den Situationen auf dem Truppen­übungsplatz umgehen zu können. Außerdem solltest du dich in eine Gruppe integrieren können, an die vorgegebenen Regeln halten und keine gefährlichen Situationen provozieren.

FOCUS-Campus: Können sich eigentlich auch Kriegs­dienstverwei­gerer bewerben?

Specker: Ja, für uns ist ausschlaggebend, dass der Bewerber den besonderen Belastungen des Jobs gewachsen und noch nicht mit dem amerikanischen und deutschen Recht in Konflikt geraten ist.

http://www.focus.de/wissen/campus/tid-7208/studentenjob_aid_130438.html

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