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Die perfekte Tötungsmaschine wird 60


Gunman

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Die Kalaschnikow ? das vielleicht beste Sturmgewehr der Welt, eine globalisierte Tötungsmaschine. Kein Krieg kommt ohne die sowjet-russische Feuerwaffe aus. Ein schlechtes Gewissen plagt Erfinder Michail Kalaschnikow deswegen aber nicht. Dafür ärgern ihn Produktfälscher. WELT ONLINE hat die Waffenfabrik besucht.

Eine lebende Legende eben. Auf dem täglichen Weg zur Arbeit fährt Michail Timofejewitsch Kalaschnikow (87) am Kalaschnikow-Museum vorbei, vor dem er in Bronze gegossen steht. Unweit davon entsteht ein Einkaufszentrum, in Form einer Kalaschnikow. Natürlich wird es den Namen "Kalaschnikow-Zentr" tragen. Würde er an einem Kiosk halten, könnte er sich eine Flasche Kalashnikov-Wodka kaufen. Kaum hat er das Werkstor zur Waffenfabrik von Ischewsk, einer Industriestadt eineinhalb Flugstunden östlich von Moskau, passiert, sieht er wieder sich: Auf der Heldenallee prangt sein Porträt. "Michail Kalaschnikow, zweifacher Held der Sozialistischen Arbeit 1958 und 1976". Es wäre verwunderlich, würden Sohn und Enkel Kalaschnikow nicht auch in der Waffenfabrik arbeiten.

Während Kalaschnikow senior noch tagtäglich am Reißbrett steht und sich Gedanken darüber macht, wie er seine Erfindung vervollkommnen kann, montieren in der Halle nebenan Arbeiterinnen das Sturmgewehr. An ihren Füßen kleben Badeschlappen aus Gummi. Eine Kette lässt rote Haken über ihren Köpfen kreisen. Daran hängen Metallteile, die sich nach Hunderten von Arbeitsgängen zu einem Ganzen fügen. Die Arbeiterinnen - manche von ihnen tragen blaue Kittel, andere sind in Freizeitkleidung erschienen - fräsen und bohren, hämmern und feilen. Bis alles passfertig und der letzte Stempel auf den Qualitätsausweis gedrückt ist, der an jedem Gewehrlauf mit einer Schnur befestigt ist. An der Hallendecke hängt ein großes Display: "Plan: Ja/Nein. Kultur: Gut/Befriedigend/Unbefriedigend. Disziplin: Ja/Nein." Die Leuchtdioden sind ausgefallen. Sie scheinen seit dem Ende der Sowjetunion, als die Staatsaufträge wegbrachen und für das Waffenwerk Ischewsk die harten Zeiten anfingen, nicht mehr zu funktionieren.

Waffenkonzern zeigt sich der Öffentlichkeit

Der Konzern Ischmasch hat eine Gruppe von ausländischen Journalisten in sein Allerheiligstes eingeladen: die Produktionshalle. Bis in die Achtzigerjahre war Ischewsk mit seinen 650.000 Einwohnern eine geschlossene Stadt, ganz zu schweigen von der Waffenschmiede. Auch Michail Kalaschnikow war ein Staatsgeheimnis. Er durfte erst in den Neunzigerjahren ins Ausland reisen. Nun wird also etwas Glasnost praktiziert. Das hat mit zwei Jubiläen zu tun, die Ischmasch in diesen Tagen begeht. Vor 60 Jahren entwickelte Konstrukteur Kalaschnikow die AK-47. Und vor 200 Jahren wurde die Ischewsker Schusswaffenfabrik gegründet. Sie lieferte schon Flinten für den Krieg gegen Napoleon, stattete die Rote Armee gegen Hitler aus und versorgte nach dem Großen Vaterländischen Krieg legale und illegale Armeen in aller Welt.

Sulfida Achmetjanowa (42) nimmt die Endkontrolle des Gewehrlaufs vor. Das Augenmaß der Frau, die seit 24 Jahren Kalaschnikows prüft, ist gefragt. "Ihre Augen sind exakter als jedes elektronische Gerät", erklärt der technische Direktor Wladimir Farofoschin, warum hier dem Menschen mehr als der Technik vertraut wird. Sulfida blickt in den Lauf, etwaige Unreinheiten poliert sie mit Watte weg. "Natürlich fertigen wir die beste Waffe der Welt", sagt sie. Ihr Arbeitsplatz mache sie stolz.

Arbeiter in der Waffenfabrik verdienen rund 250 Euro

Reich werden die 5500 Mitarbeiter nicht. Der monatliche Durchschnittslohn liegt bei 9000 Rubel (257 Euro). Der eine oder andere Arbeiter, heißt es, bessert sein Salär auf, indem er Metall aus der Fabrik schmuggelt, zu Angelhaken und Blinkern verarbeitet und an Fischer verkauft. Ein großer Stausee liegt direkt vor dem Werk. Es ist schwer zu glauben, dass in den Hallen Präzisionsarbeit geleistet wird. Die meisten Maschinen stammen aus der Sowjetunion der Siebzigerjahre.

Lediglich 15 bis 18 Prozent der Anlagen seien importiert worden, sagt Farofoschin. Das soll sich ändern. Zehn Millionen Euro investiert das Werk in diesem Jahr. In einem abgeschirmten Bereich stehen denn auch Schleif- und Fräsmaschinen schweizerischer und deutscher Herkunft. Bei Kalaschnikow ist so gut wie alles ein Staatsgeheimnis. Gewinn? "Ausreichend". Stückzahl? "Eine gute". Eigentümer? Der Generaldirektor sagt, dass 67 Prozent der Aktien in Staatseigentum sind, während der technische Direktor als Zahl 75 Prozent nennt und in der Bilanz als "republikanischer Anteil" 29,97 Prozent ausgewiesen ist. In den wilden Neunzigern wurde die Rüstungsfabrik privatisiert. Damals erhielten die Arbeiterinnen die Löhne mit monatelanger Verspätung, der Staat orderte kaum Waffen. Bei Insidergeschäften verschwand so mancher Vermögenswert.

Staat kontrolliert die Waffenschmiede

Der Staat hält heute wieder die Kontrolle über das Werk und über die Absatzkanäle. Seit März dürfen Rüstungsgüter nur noch über den Staatskonzern Rosoboronexport ausgeführt werden. Davor hatten rund 30 Mittlerfirmen das Recht, Kalaschnikows weltweit zu veräußern. Bei Ischmasch ist man erklärtermaßen froh darüber, dass nun der Export in Kremlhand ruht. "Das stärkt unsere Marktmacht", heißt es. Rund 100.000 Kalaschnikows und etwa 150.000 Jagd- und Sportgewehre produziert Ischewsk pro Jahr. Der Marktanteil beträgt bei russischen Schusswaffen 95 Prozent. Der Weltmarktanteil bei Kalaschnikows liegt jedoch bei nur zehn Prozent. Produktfälschungen, beklagt Generaldirektor Wladimir Grodezki, führten zu einem jährlichen Schaden von rund 250 Millionen Euro. Der Marktanteil der Manufaktur ist gering - auch deshalb, weil die dort hergestellten Kalaschnikows in der Grundausstattung 300 bis 400 Dollar das Stück kosten. Chinesische Billigkopien sind hingegen schon für 60 bis 80 Dollar zu haben. Grodezki nennt China, Polen, Bulgarien die "wichtigsten Markenfälscher". 27 Staaten produzierten heute illegal Kalaschnikows oder Kopien, die bei Ischmasch nur "Klone" heißen.

Russen wütend über Produktpiraten

Dass viele dieser Waffen längst Weiter- oder Neuentwicklungen sind, lässt Grodezki, der seit 34 Jahren in der Rüstungsbranche arbeitet, nicht gelten: "Es ist unsere Erfindung." Grodezki ist erzürnt, wenn etwa Bulgaren, Ungarn und Slowenen die Milizen im Irak und Afghanistan beliefern. "Ich bin überrascht, dass sich alle aufregen, wenn CDs oder DVDs gefälscht werden, aber schweigen, wenn es um den Schutz unserer Kalaschnikows geht", sagt er. Ähnlich sieht das der Erfinder selbst. "Sie nutzen meinen Namen, stellen aber Produkte minderer Qualität her." Russland, das sieht auch Kalaschnikow so, hat sich jedoch selbst in diese Lage gebracht. "Nach links und nach rechts" seien Patente vergeben worden. Um Patentfragen oder Lizenzrechte habe sich zu Sowjetzeiten niemand gekümmert. Im gesamten Ostblock, von Kuba bis zur DDR, wurden Kalaschnikows produziert. Es galt, die Kalaschnikow zu einer Waffe im Kampf gegen den "Imperialismus" zu machen.

Putin will ausländische Produzenten zu Lizenzzahlungen zwingen

Der Kreml will jetzt den Symbolwert in bare Münze verwandeln. Präsident Wladimir Putin will ausländische Produzenten zu Lizenzzahlungen zwingen. Ist bei ihm der bulgarische Premier zu Gast, lässt Putin in das zwischenstaatliche Abkommen eine Zeile über "Ungelöste Lizenzfragen im Fall Kalaschnikow" notieren. "Die berühmte Kalaschnikow ist nicht nur ein Beispiel für Erfindergeist, sondern auch ein Symbol für das Talent und das schöpferische Genie unseres Volkes", schrieb Putin in einer Grußbotschaft an das Ischewsker Werk. Bis Tantiemen fließen, dürfte dennoch viel Zeit vergehen. Da kommt jemand wie Hugo Chavez gerade recht. Der venezolanische Präsident und erklärte Freund Russlands kaufte im vergangenen Jahr in Ischewsk 100 000 Kalaschnikows der Serie AK-103 und orderte nebenher noch eine ganze Waffenfabrik. Der Grundstein wird im Oktober gelegt. Seit der Vertrag unter Dach und Fach ist, lernen venezolanische Waffentechniker in Ischewsk die Handgriffe und reisen russische Ingenieure nach Caracas, um den Werksbau vorzubereiten. Die Lizenz läuft bis 2025.

Die neue Kalaschnikow schießt lautlos

Doch die Zukunft von Ischewsk hängt nicht nur an der Einforderung von Patentrechten. Der Waffenhersteller benötigt Innovationen. 70 verschiedene Schusswaffen-Typen stellt die Fabrik her. "Wir müssen flexibel sein und Waffen für Jäger, Sportschützen, reguläre Soldaten und Anti-Terror-Einheiten im Angebot haben", sagt Grodezki. Die Kalaschnikow ist mit ihren 60 Jahren in der vierten Generation angekommen. Das neueste Modell ist die AK-9, eine Waffe für Anti-Terror-Spezialisten. Die Besonderheit: Sie schießt lautlos, was bei dem Kaliber einzigartig ist. Das Verteidigungsministerium testet die Waffe gerade, Grodezki sieht bereits Exportpotenzial. Der Umsatz mit Waffen aus Ischewsk liegt bei 55 Millionen Euro im Jahr, er wächst um zehn Prozent jährlich. Mittelfristig soll die Kalaschnikow-Produktion auf 200 000 Stück verdoppelt werden. Die Waffenschmiede hofft auf Millionenaufträge aus dem Ausland und Bestellungen der russischen Armee, die nachrüstet.

Die Werbewirkung von Michail Kalaschnikow hat auch der Rüstungsexporteur Rosoboronexport erkannt. Zur Eröffnung der Sportwaffenmesse in Ischewsk ist der Erfinder ein umschwärmter Ehrengast. Kalaschnikow ist etwa 1,60 Meter groß. Er trägt einen sandfarbenen Sommeranzug und Orden auf der Brust. Seine Krawattennadel? Eine mit Diamanten gespickte goldene Kalaschnikow. Der schlohweiße Haarschopf ist streng nach hinten gekämmt. Mit seiner hohen, leisen Stimme erzählt er, wie er vor der Arbeit jeden Tag Morgengymnastik macht. Er gräme sich nicht, dass er kein Multimillionär geworden ist. "Was willst du mehr als ein Museum zu Lebzeiten und eine Bronzebüste in deinem Heimatdorf?" Ob er Schuldgefühle habe? Man könne doch nicht einen Erfinder für kriegslüsterne Politiker in aller Welt verantwortlich machen. Fragen müssen laut und deutlich wiederholt werden. Kalaschnikow trägt ein Hörgerät. Tests auf dem Schießstand haben ihn schwerhörig gemacht.

http://www.welt.de

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