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Von der Pflicht, eine Waffe zu haben


Gunman

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Kennesaw trägt den Spitznamen "Gun Town, USA" ? Die Bürger wollen aber keine herumballernden Cowboys sein

n der US-Kleinstadt Kennesaw muss laut Gesetz jeder Haushaltein Schießeisen besitzen.

Aufzählung Kriminalitätsrate seit 1982 kaum gestiegen.

Kennesaw. Eine Ansammlung von Häusern im tiefen Süden der USA zwischen der achtspurigen Interstate 75 und dem alten Highway 41. Malls, Autohäuser, Werkstätten und Tankstellen, so weit der Blick reicht. Im Zentrum liegen Rathaus und Polizeistation, ein paar Geschäfte und das Whistle Stop Café, wo sich die Einheimischen treffen. Kennesaw, im Bundesstaat Georgia, etwa 40 Kilometer von der Metropole Atlanta entfernt, ist eine Kleinstadt im Süden Amerikas, eine Kleinstadt wie viele andere. Wäre da nicht jener Erlass aus dem Jahr 1982, der Kennesaw berühmt machte: Ein Erlass, der jeden Bürger verpflichtet, eine Waffe zu besitzen. Der dem beschaulichen Städtchen einen kriegerischen Spitznamen eintrug: Gun Town, USA.

Eigentlich gehört das "Gun Law" so selbstverständlich zu Kennesaw wie das Whistle Stop Café. Aber in diesen Tagen reden die Menschen mehr darüber als sonst. Denn zum ersten Mal seit fast 70 Jahren befasst sich das Oberste Gericht mit der Frage, ob die US-Verfassung jedem Bürger ein Recht auf Waffenbesitz einräumt. Dabei soll geklärt werden, ob die von der Stadt Washington erlassenen Einschränkungen für den Waffenbesitz von Privatpersonen verfassungskonform sind. Das Urteil wird im Juni erwartet.

In Kennesaw diskutiert man schon jetzt. Auf der Polizeiwache zum Beispiel. Dort sitzt in einem winzigen Büro im Keller Lieutenant Craig Graydon, der Gefängnisaufseher. Er ist seit 21 Jahren bei der Polizei, und deshalb haben ihn seine Kollegen zum Beauftragten für den Revolver-Erlass erkoren. Im örtlichen Gesetzbuch heißt es, dass "mit dem Ziel, die Sicherheit und allgemeine Wohlfahrt der Stadt und ihrer Einwohner aufrechtzuerhalten, jeder Vorstand eines Haushaltes (?) eine Schusswaffe besitzen muss". Der Erlass von Kennesaw ist eine besonders eifrige Auslegung der US-Verfassung, deren zweiter Zusatz allen Amerikanern den Besitz einer Schusswaffe gestattet.

"Die Polizei überprüft die Einhaltung der Anordnung nicht", erklärt Graydon. "Wir schicken keine Polizisten in die Häuser und checken, ob die Bewohner eine Waffe haben." Auch sei noch niemand zu einer Strafe verurteilt worden, weil er keine Waffe besitzt. Bei dem Erlass gehe es vielmehr darum, ein Signal zu setzen.

Angst vor den Illegalen

Tatsächlich liegt die Verbrechensrate in Kennesaw etwa zwei Prozent unter dem US-Durchschnitt, und auch in absoluten Zahlen ist die Kriminalität in Kennesaw in den vergangenen 25 Jahren kaum angestiegen, obwohl die Einwohnerzahl von 5000 im Jahr 1982 auf mehr als 30.000 gewachsen ist. Lieutenant Graydon will gerade in diesen Tagen das Image von Kennesaw zurechtrücken. "Wir sind keine Horde von Cowboys, die bewaffnet durch die Straßen patrouillieren und herumballern. Wir sind ganz normale Bürger."

Wenn man quer über die Straße geht und "Wildman?s Civil War Surplus and Herb Shop" betritt, der neben Bürgerkriegsandenken auch diverse Kräuter führt, dann können einem allerdings durchaus Zweifel kommen. Auf dem Dach des Backsteingebäudes weht stolz die Konföderiertenflagge. Das Schild an der quietschenden Tür bereitet den Besucher auf das vor, was ihn im Inneren erwartet: "Waffen erlaubt".

Dent Myers ist der Besitzer, ein Mann in den hohen 70ern mit grauer Mähne, langem filzigem Bart, einem roten Bandana um die Stirn und mit mehreren Pistolen in Lederhalftern um die Hüften. Seine Ansichten verbirgt er nicht. Er findet, der Revolver-Erlass sei "eine gute Sache". Zwar gebe es wenig Verbrechen in Kennesaw, knurrt er, "aber mit dem Zustrom von all den Illegalen, die ihren Tag damit zubringen, zu rauben und zu vergewaltigen, könnte sich das bald ändern". Seit 1971 hat Dent Myers sein Geschäft in Kennesaw, einen düsteren Laden mit langen Gängen, in den kein Tageslicht dringt, der nach altem Staub und Moder riecht und vollgestopft ist mit Bürgerkriegsmemorabilia, Büchern, Flyern, rassischen Hetzschriften und allerhand historischem Nepp.

"Weigere mich, Opfer zu sein"

Marjorie Lyon, die bei "Wildman?s" arbeitet, trägt ihren 38er "Smith & Wesson"-Revolver im Bund ihrer Jeans ? sichtbar für jeden, der sich ihr nähert. "Ich habe absoluten Respekt vor dem Leben, aber wenn man mich angreift, dann wehre ich mich", sagt sie.

Plötzlich brechen die Worte aus ihr heraus. Ihr ganzes Leben habe sie immer nur Angst gehabt. "Ich hatte Angst vor meinem eigenen Schatten." Als Kind und als Jugendliche sei sie missbraucht worden. Jetzt will sie keine Angst mehr haben, und sie will nicht, dass ihre Tochter jemals Angst hat. "Ich weigere mich, Opfer zu sein." Tränen steigen ihr in die Augen, und sie schlägt ein Kreuz.

Im Coffeeshop in der nahegelegenen Mall sitzt Aliyah mit Laptop und Büchern. Sie studiert an den Life University, einer Akademie für Chiropraktiker. Aliyah kommt aus Florida und lebt jetzt in Kennesaw, aber von dem Erlass hat sie noch nie etwas gehört. "Ich persönlich glaube nicht an Waffen", sagt Aliyah, eine Frau mit blassem Gesicht und schreckhaften Augen. "Aber wenn die Leute Waffen besitzen wollen, dann ist das ihr Recht."

http://www.wienerzeitung.at

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