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Wir haben euch Waffen gegeben. Also benutzt sie auch!"


Gunman

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WM-GASTGEBER SÜDAFRIKA

"Wir haben euch Waffen gegeben. Also benutzt sie auch!"

Ausraster in Südafrika: Nur zwei Jahre bis zur WM - und das Land bekommt die Kriminalität nicht in den Griff. Da empfiehlt die stellvertretende Sicherheitsministerin ihren Polizisten im Umgang mit Verbrechern: "Tötet die Bastarde!" Und erhält sogar noch Zuspruch.

Kapstadt - Die Ministerin wollte besorgte Bürger beruhigen, die sich wegen der ausufernden Kriminalität in ihrer Nachbarschaft verunsichert fühlen. Es sollte also eine Informationsveranstaltung werden, wie sie die stellvertretende südafrikanische Sicherheitsministerin Susan Shabangu in den vergangenen Wochen schon häufiger organisiert hatte.

Fünf Stunden hatte sie sich Zeit genommen, um in Danville, einem Vorort der Hauptstadt Pretoria, mit Bewohnern der umliegenden Stadtviertel über Kinderschutz, Drogen- und Alkoholmissbrauch zu diskutieren. Wie die vorangegangenen Veranstaltungen wäre wohl auch diese folgenlos geblieben. Wenn nicht die seriöse Kapstädter Tageszeitung "Cape Times" zwei Tage später mit der Schlagzeile erschienen wäre: "Tötet die Bastarde."

In der überfüllten Aula der Elandspoort High School in Danville habe die Vize-Ministerin die Polizei unverhüllt zum Mord aufgerufen, berichtet das Blatt am Donnerstag. "Ich versichere den Polizeioffizieren, den Polizistinnen und Polizisten, dass sie die Erlaubnis zum Töten der Verbrecher haben." Die ANC-Politikerin habe hinzugefügt: "Wir haben euch Waffen gegeben. Also benutzt sie nun auch." Um Gesetze brauche sich dabei niemand zu scheren. "Das ist meine Verantwortung."

"Ihr habt nur einen Schuss frei"

Die 52-jährige Witwe, die aus der Gewerkschaftsbewegung Südafrikas kommt, habe keinen Zweifel daran gelassen, dass sie es Ernst meint: "Ich möchte keine Warnschüsse. Ihr habt nur einen Schuss frei und das muss der Todesschuss sein. Wenn es ein Fehlschuss ist, werden die Verbrecher Euch killen. Sie schießen nicht vorbei."

Irgendwelche "pathetischen Entschuldigungen" werde sie nicht länger tolerieren. "Wenn Kriminelle es wagen, die Polizei oder die Existenz und das Leben unschuldiger Männer, Frauen und Kinder zu bedrohen, müssen sie getötet werden. Basta." Die Verfassung sage zwar, dass auch Kriminelle Schutz genössen. "Aber ich sage: nein, nein, nein," wird die aufgebrachte Ministerin zitiert - die Bürger und Polizisten in der Schulaula hätten ihr stehend applaudiert.

Der Ausbruch der Vize-Ministerin kommt für Südafrikas Regierung zur Unzeit. Mit zweifelhaften Kriminalitätsstatistiken hatten die Sicherheitsbehörden in den vergangenen Monaten versucht, das Image des Gastgeberlandes für die Fußball-WM 2010 aufzupolieren. Dabei sprechen die Zahlen eine eindeutige Sprache: Mit rund 20.000 Morden, ebenso vielen Mordversuchen, etwa 130.000 blutigen Raubüberfällen und 50.000 Vergewaltigungen ist Südafrika weltweit eines der unsichersten Länder.

Touristenhochburg als Mörderhauptstadt

Die Touristenhochburg Kapstadt gilt sogar als "Mörderhauptstadt" der Welt. Zwar ist es den Behörden der Kap-Metropole durch massiven Polizeieinsatz und freiwillige Helfer in den zurückliegenden Monaten wenigstens gelungen, Touristenattraktionen wie den Tafelberg wieder einigermaßen sicher zu machen. Aber immer wieder schrecken spektakuläre Verbrechen die Südafrikaner auf: Im Oktober vergangenen Jahres wurde das afrikanische Reggae-Idol Lucky Dube in Johannesburg auf offener Straße erschossen. In Kapstadt wurde im November der angesehene Jura-Professor Mike Larkin in unmittelbarer Nähe seines Hauses im bürgerlichen Wohnviertel Rondebosch abgestochen.

Selbst Südafrikas bestgesicherte Objekte sind nicht mehr sicher: Im November 2007 stürmten vier mit Maschinenpistolen bewaffnete Gangster das Atomforschungszentrum Pelindaba, einen Hochsicherheitstrakt, in dem die frühere Apartheidsregierung Atomwaffen hergestellt hat. Die Täter schossen einen Mitarbeiter nieder. Selbst bei der Gruppenauslosung für die Fußball-WM konnte im vergangenen November in Durban ein massives Polizeiaufgebot nicht verhindern, dass der österreichische Ex-Fußballstar Peter Burgstaller auf dem Golfplatz ermordet wurde.

Spektakuläre Fälle wie diese machen Schlagzeilen. Doch vor allem die tägliche Kriminalität ist in Südafrika offenbar nicht zu bändigen. Der "Consumer Goods Council", eine Art Mittelstandsvereinigung der südafrikanischen Industrie, beklagt, dass der Wirtschaft des Landes allein im vergangenen Jahr durch die wachsende Kriminalität ein Schaden in Höhe von 3,5 Milliarden Rand (etwa 350 Millionen Euro) entstanden sei.

Wirklich sicher kann sich niemand fühlen. Die Nobelviertel in Johannesburg, Pretoria und Kapstadt gleichen Festungen: Elektrozäune, Kameras und Alarmanlagen schirmen die Anwesen ab. Wird elektronisch ein Alarm gemeldet, sind binnen Minuten bewaffnete Privatpolizisten zur Stelle. Im Gegensatz zum zögernden Staatspräsidenten Thabo Mbeki hat sein Rivale, ANC-Parteichef Jacob Zuma, die Kriminalität als "nationalen Notstand" bezeichnet, eine Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe angestoßen und die Bürger zum Kampf gegen das Verbrechen aufgerufen.

Menschenrechtler sind über den Schießbefehl entsetzt.

Weil sie der oft unterbesetzten, schlecht ausgebildeten und häufig korrupten Polizei nicht mehr trauen mögen, greifen daher immer mehr Bürger zur Selbsthilfe: Sie bilden Bürgerwehren. Nach Feierabend schnallen sie ihre Colts um und fahren Streife in ihren Wohnvierteln. Teils sind sie per Funk mit der Polizei verbunden, teils mit den privaten Sicherheitsdiensten

Vor allem in Kapstadt formieren sich immer mehr dieser Selbsthilfegruppen. In Tamboerskloof, einem Kapstädter Villenviertel, haben sich 600 Anwohner in einer Bürgerwehr organisiert. Sie sind mit 120 Funkgeräten ausgerüstet und sorgen nachts für Sicherheit auf ihren Straßen. Lewis Lynch, Sprecher der Gruppe, lobt vor allem die enge Zusammenarbeit mit der Polizei. Sie sei jetzt in weniger als zwei Minuten zur Stelle, wenn sie von der Bürgerwehr zu Hilfe gerufen werde. Die Zahl der Verbrechen sei seit dem vergangenen Jahr um 80 Prozent gesunken, meldet er stolz.

In Green Point, wo das neue WM-Stadion gebaut wird, informiert die Polizei die Anwohner regelmäßig per E-Mail über drohende Gefahren, neue Methoden der Gangster und aufgedeckte Verbrechen. Die streitbaren Bürger in ihren Selbsthilfegruppen nutzen moderne Kommunikationstechniken: GPS, Internet, E-Mail.

Warnung vor Anarchie und Chaos

Im Kapstädter Vorort Bergvliet können die Hilfssheriffs der Bürgerwehr sogar die Autonummern verdächtiger Fahrzeuge in ihre Handys eintippen und bekommen sekundenschnell Antwort, ob der Wagen als gestohlen gemeldet ist oder nicht. Der Projektmanager der "Crime Watch" im Stadtteil Milnerton, Craig Pederson, ist sogar überzeugt: "Wir haben landesweit die modernste Ausrüstung zur frühzeitigen Aufdeckung von Verbrechen." Aber es geht um mehr: "Wir wollen, dass die Kriminellen nicht nur in Arrest genommen, sondern auch verurteilt werden."

Nach Susan Shabangus Aufruf zum Töten ging ein Aufschrei durch die kriminalitätsgeplagte Kap-Republik. Die südafrikanische Menschenrechtskommission, Oppositionsparteien wie die Demokratische Allianz und die Unabhängigen Demokraten sowie Juristenvereinigungen sind sich einig: Das war ein klarer Aufruf zum Rechtsbruch. Die Ministerin habe sich über die Verfassung gestellt. Sie warnen einhellig vor Anarchie, Chaos und Rechtlosigkeit auf Südafrikas Straßen. Die Ministerin müsse zurücktreten.

Eine unabhängige Kommission, die im Auftrag der Regierung Polizeiübergriffe untersucht, erklärte, die Colts säßen ohnehin schon locker genug. Die Zahl der bei der Ausübung von Verbrechen durch die Polizei Getöteten sei allein von 2006 bis 2007 um elf Prozent gestiegen. Bei Fluchtversuchen seien im gleichen Zeitraum sogar 19 Prozent mehr Menschen erschossen worden.

"Jagt die Bastarde und knallt sie ab"

Aber Shabangu bekommt auch begeisterten Zuspruch. Die rechtsextreme "Freiheitsfront" tönt: "Das ist das richtige Signal." In Radiosendungen bekennen unter dem Schutz der Anonymität immer mehr Polizisten, dass sie auf ein solches Zeichen ihrer Chefs zum Losschlagen gewartet hätten. Denn die Zahl der in Ausübung ihres Berufes getöteten Polizisten steigt ebenfalls rasant. "Jagt die Bastarde und knallt sie ab", gab denn auch ein anonymer Polizeioffizier in einer Morgensendung als Parole aus.

So neu scheint das für die Polizei in Südafrika aber auch nicht zu sein: Im vergangenen Jahr hat sie in der Provinz Gauteng nach einen Tipp über einen geplanten Überfall auf einen Geldtransporter einen Hinterhalt gelegt und die Gangster ohne jeden Warnschuss kaltblütig erschossen.

Die in die Schlagzeilen geratene Vize-Ministerin ließ jedenfalls durch ihre Sprecherin Noxolo Kueza am Freitag erklären: "Ich nehme kein Wort von dem zurück, was ich gesagt habe."

http://www.spiegel.de

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