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Der Mann mit der Neun-Millimeter-Pistole


Vereinsknecht

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Ein Polizeibeamter aus Washington D.C. hat vor dem Obersten US-Gerichtshof ein Grundrecht auf Schusswaffenbesitz für Amerikaner erstritten. Jetzt rüsten Waffenbesitzer und ihre Gegner zur nächsten Schlacht. Und auch die Präsidentschaftskandidaten beziehen Position.

Dick Heller ist sichtlich stolz auf seinen Erfolg. Der 66-jährige Polizist aus Washington D.C. hebt seinen rechten Arm in die Höhe und streckt den Daumen zum Siegeszeichen nach oben, als er am Mittwoch (Ortszeit) den Obersten Gerichtshof in der US-Hauptstadt verlässt: ?Ich bin sehr glücklich, dass ich jetzt endlich mich selbst und meinen Haushalt in meiner eigenen Wohnung verteidigen kann?, erklärt Heller und streicht sich durchs schüttere weiße Haar.

Jahrelang habe er auf diesen Augenblick gewartet, beteuert der drahtige Mann im dunkelblauen Anzug. Er habe sich durch alle Instanzen gekämpft. Jetzt endlich hätten Amerikas höchste Richter seiner Klage stattgegeben. Mit einer knappen Mehrheit von fünf zu vier Stimmen erklärten sie das seit 32 Jahren geltende Schusswaffenverbot in Washington für verfassungswidrig. Denn die US-Verfassung, so ihr Befund, gestehe in ihrem zweiten Zusatz jedem Amerikaner das Recht zu, ?Waffen zu besitzen und zu tragen?.

Dick Heller wohnt nicht weit vom ?Supreme Court? entfernt, in der Nähe des US-Kapitols. Im Stadtplan der Washingtoner Polizei, die die einzelnen Viertel gemessen an der Zahl der dort vorkommenden Verbrechen in unterschiedliche ?Gefahrenregionen? eingeteilt hat, ist die Gegend um den Kapitolshügel hellrot eingefärbt. Hellrot bedeutet, dass hier ein ?hohes Risiko? besteht, Opfer einer Gewalttat zu werden. Schlechter ist nur noch dunkelrot. Die Farbe steht für ein ?sehr hohes Risiko?.

Heller kennt sein Stadtviertel in- und auswendig. Er lebt und arbeitet hier seit vielen Jahren. Als Spezial-Polizist ist er für die Sicherheit des ?Thurgood- Marshall-Gerichtszentrums? verantwortlich, trägt im Dienst selbst eine Neun-Millimeter-Pistole. Die wollte Heller nach Feierabend auch gerne mit nach Hause nehmen ? nur zur Selbstverteidigung, wie er versichert. Schließlich lebe er in der hellroten Zone.

Ohne Waffe ? ?Bürger zweiter Klasse?

Doch seine Vorgesetzten sagten Nein und beriefen sich auf das am 24. September 1976 erlassene Schusswaffenverbot. Da könne man keine Ausnahmen machen, auch nicht für Polizisten in der hellroten Zone. Also musste Heller seine Pistole nach Dienstschluss abgeben. Daraufhin zog er vor Gericht: ?Die Regierung gibt mir eine Pistole, damit ich ihre Leute beschützen kann, aber sobald ich mit meiner Arbeit fertig bin, werde ich als Bürger zweiter Klasse behandelt?, begründete er seine Klage.

Dazu verweist der Polizist auf die Washingtoner Verbrechensstatistik. Allein im vergangenen Jahr wurden in der US-Hauptstadt 181 Menschen ermordet ? 80 Prozent davon mit einer Schusswaffe. Für Heller ist das ein Beweis, dass das Waffenverbot überhaupt nichts bringt. Die ?Bad Guys?, also die Kriminellen, könnten sich jederzeit und überall ein Gewehr beschaffen. Und die unbescholtenen Bürger, die sich an das Verbot halten würden, seien diesen Kerlen wehrlos ausgeliefert.

Dick Heller ist einer der Pole in einem erbitterten Kampf gegensätzlicher Ideologien, der bereits seit Jahrzehnten in den USA tobt: Seine Seite ist davon überzeugt, dass mehr Schießeisen in den Händen gesetzestreuer Bürger Verbrechen verhindern. Denn wenn das gute Amerika bis an die Zähne bewaffnet sei, so ihr Argument, dann würden es sich die bösen Kriminellen zweimal überlegen, unschuldige Opfer zu überfallen ? aus Angst, sich dabei selbst eine Kugel einzufangen.

Den Gegenpol zu dieser Auffassung bilden Leute wie James Brady, der Pressesprecher des früheren US-Präsidenten Ronald Reagan. Brady wurde bei dem Attentat auf Reagan am 30. März 1981 so schwer angeschossen, dass er im Rollstuhl sitzen muss. Seitdem ist er einer der führenden Verfechter strenger Waffenkontrollgesetze in den USA. ?Mehr Schusswaffen machen Amerika nicht sicherer?, sagt er: ?Sie führen nur zu noch mehr Toten.?

Diese beiden Pole prallen vor allem dann jedesmal mit Vehemenz aufeinander, wenn eine besonders schreckliche Bluttat die Nation schockiert. Als der Student Cho Seung-Hui am Morgen des 16. April 2007 an der ?Virginia Tech Universität? in Blacksburg, Virginia, 32 Menschen und sich selbst mit zwei Gewehren niederstreckte, forderten Schusswaffengegner sofort härtere Bestimmungen für den Erwerb und Besitz von Waffen. Ganz anders sah das dagegen Todd Gilbert, ein republikanischer Abgeordneter im Staatsparlament von Virginia. ?So ein Amokläufer lässt sich doch nicht durch Gesetze abschrecken?, ereiferte er sich: ?Den kannst Du nur mit einem Gewehr stoppen.?

Kampf für mehr Waffen an Schulen

Mehr als 200 Millionen Gewehre und Pistolen sind derzeit in den USA im Umlauf. Jeden Tag werden im Durchschnitt 84 Menschen durch eine Kugel getötet, neun davon sind Kinder. Tragödien wie die an der Columbine High School in dem kleinen Ort Littleton in Colorado, wo am 20. April 1999 zwei Jugendliche 13 Mitschüler erschossen, haben sich unauslöschlich in die nationale Seele eingebrannt. Doch geschehen ist bisher wenig.

Das liegt nicht zuletzt an der Einstellung der US-Öffentlichkeit. Trotz Columbine, trotz Virginia Tech, trotz täglicher Mordberichte im Fernsehen und in den Zeitungen bestehen in einer Umfrage mehr als zwei Drittel der Amerikaner auf ihrem Recht, Schusswaffen zu tragen.

Das gibt den Advokaten der Waffenindustrie neue Munition. ?Wann begreifen wir endlich, dass Wehrlosigkeit eine schlechte Verteidigung ist??, fragte etwa Larry Pratt, Direktor der Vereinigung ?Waffenbesitzer von Amerika? nach dem Massaker von Blacksburg: ?Es ist unverantwortlich und gefährlich, dass wir Bürgern verbieten, Gewehre in Schulen und Universitäten mitzubringen.?

Das Schusswaffenurteil des Obersten Gerichtshofs vom Mittwoch hat Leute wie Pratt jetzt in ihrer Position bestätigt. So will etwa die ?National Rifle Association of America?, die mit 4,2 Millionen Mitgliedern zu den einflussreichsten Lobbygruppen in den USA zählt, in den kommenden Wochen gegen weitere Schusswaffenverbote in den Städten Chicago und San Francisco vorgehen. ?Das war erst der Anfang?, kündigt NRA-Chef Wayne LaPierre an.

Doch auch die Waffengegner wollen sich nicht so leicht geschlagen geben: ?Wir werden unseren Kampf um sinnvolle Waffengesetze unvermindert fortsetzen?, versichert Paul Helmke, Präsident des ?Brady Zentrums gegen Waffengewalt? in Washington: ?Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wird höchstwahrscheinlich ideologische Extremisten in ihrem Bemühen bestärken, weitere Angriffe gegen existierende Waffengesetze zu starten. Diese Attacken können und müssen im Interesse der öffentlichen Sicherheit gestoppt werden.?

McCain für Waffenbesitz

Inzwischen hat die Schusswaffendebatte auch den US-Präsidentenwahlkampf erreicht. John McCain, der designierte Republikaner-Kandidat fürs Weiße Haus, hat sich bereits auf die Seite der Waffenbesitzer gestellt. Der 71-Jährige nennt das Urteil ?einen Meilenstein? und feuert sofort eine Breitseite auf seinen Gegner Barack Obama ab: ?Im Gegensatz zu einer elitären Sichtweise, die davon ausgeht, dass sich Amerikaner an ihre Waffen klammern, weil sie verbittert sind, erkennt die heutige Entscheidung an, dass der Waffenbesitz ein fundamentales Recht ist.?

Dagegen hält sich Obama mit Angriffen auf seinen Gegnern zurück. Stattdessen verspricht der 46-Jährige ? wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der jüngsten Umfragewerte ? dass auch er als Präsident das Recht auf Waffenbesitz garantieren werde, wenn auch mit leichten Einschränkungen: ?Wir sollten gemeinsam an sinnvollen Gesetzen arbeiten, die sicherstellen, dass Gewehre nicht in die Hände von Terroristen oder Kriminellen fallen?, meint er.

Darauf hofft besonders Waffengegner Helmke: ?Unsere schwachen oder nicht-existenten Waffengesetze sind mitverantwortlich, dass jedes Jahr Tausende von Menschen in unserem Land sinnlos sterben oder verletzt werden. Wir müssen endlich unsere Städte und Familien schützen.?

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