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#Hamburg: Ermittlungen gegen Schützenverein


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Uns erreichte dieser Community-Beitrag eines der Redaktion bekannten Autors, den wir gerne veröffentlichen.

Vor über einer Woche ereignete sich die schreckliche Tat von Hamburg. Für mich als langjähriger Kontroll- und Streifenbeamter, jetziger Ermittlungsbeamter, verbat sich mir bisher eine Bewertung der Tat, es fehlten einfach zu viele relevante Informationen.

Inzwischen lässt sich jedoch, auch aus „offenen“ Quellen, ein verhältnismäßig genauer Ablauf der Tatvorbereitung sowie der Tat rekonstruieren. Erst jetzt kann man auch langsam, aber sicher, entsprechende Schlüsse aus dem Motiv, der Tatvorbereitung und der Tatausführung schließen.

Vorab: Meinen Respekt und meinen Dank an die eingesetzten Einsatzkräfte!

Vor „eineinhalb Jahren“, also ungefähr im September 2021 verließ der Täter die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Am 6. Dezember 2022 erhielt der Täter seine Waffenbesitzkarte von der für ihn zuständigen Waffenbehörde. Die Tatwaffe wurde am 12.12.2022 von dem Täter erworben.

Auflagen für den legalen Besitz als „Sportschütze“*

Hierzu musste der Täter zuerst ein Bedürfnis als „Sportschütze“* begründen, in dem er zuerst Mitglied in einem Schießsportverein wurde, welcher einem Schießsportverband angehört (§ 14 (2) WaffG). In eben diesem Verein musste der Täter innerhalb von 12 Monaten regelmäßig jeden einzelnen Monat oder 18 unregelmäßige Teilnahmen am Schießsport absolvieren und dies der zuständigen Waffenbehörde belegen (§ 14 (3) WaffG). Eine alleinige Mitgliedschaft ohne regelmäßige Teilnahme am Schießsport ist nicht ausreichend, um ein Bedürfnis zu begründen. Somit dauert alleine die Begründung des Bedürfnisses mindestens 12 Monate.

In vielen Schießsportvereinen werden neue Mitglieder erst zu festen Terminen (Monatsende, teilweise auch Quartalsweise) dem übergeordneten Schießsportverband gemeldet, womit erst ab diesem Datum die oben genannte Frist beginnt. Des Weiteren ist es äußerst unwahrscheinlich, dass der Täter sofort am Tag des Austritts aus seiner Glaubensgemeinschaft einem Schießsportverein beitrat.

Internetrecherchen zu Vereinen, Kontaktaufnahme mit ebendiesen, Probetraining usw. nehmen ebenfalls etwas Zeit in Anspruch. Auch herrscht in einigen Vereinen zur Zeit ein Aufnahmestop. Somit wurde frühestens im September das Bedürfnis als „Sportschütze“* nach § 14 (2) WaffG sowie die Sachkunde nach § 7 WaffG begründet. Erst zu diesem Zeitpunkt konnte der spätere Täter eine Waffenbesitzkarte beantragen.

Auflagen zur Zuverlässigkeit

Im Rahmen dieses Antrags wurde nach § 5 WaffG die sog. Zuverlässigkeit geprüft. Hierzu wurden folgende Erkundigungen eingeholt:

  1. die unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister
  2. die Auskunft aus dem zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister
  3. die Stellungnahme der örtlichen Polizeidienststelle, ob Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit begründen
  4. die Auskunft der für den Wohnsitz der betroffenen Person zuständigen Verfassungsschutzbehörde

Ebenfalls wird die persönliche Eignung nach § 6 WaffG geprüft. Erst nach dieser Prüfung wurde die Waffenbesitzkarte am 06.12.2022 ausgestellt. Dieser ganze Prüfungsprozess nimmt, selbstredend, ebenfalls Zeit in Anspruch.

Anonyme Warnung im Januar

Schon kurz nach Erteilung der Waffenbesitzkarte, im Januar, wurde der Waffenbörde ein anonymer Hinweis übersandt, in welchem auf den labilen Geisteszustand, sowie die beim späteren Täter vorhandene Wut auf Religionsgemeinschaften hingewiesen wurde. Explizit wurde auf sein Buch, in welchem u.a. Hitler als Werkzeug Christi betrachtet wird, Bezug genommen. In diesem Buch werden des Weiteren  sowohl die Covid-19 Pandemie als auch die russische Invasion in der Ukraine als göttliche Strafen betrachtet.

Kontrolle im Februar

In Folge dieses Hinweises entschloss sich die Waffenbehörde eine Kontrolle der Aufbewahrung der Schusswaffen durchzuführen. Diese erfolgte im Februar des Jahres 2023. Bei dieser Kontrolle wurde eine nicht ordnungsgemäß verwahrte Patrone festgestellt. Dies stellt nach § 13 (2) Nr.2 AWaffV i.V.m § 34 Nr.12 AWaffV mindestens eine Ordnungswidrigkeit, wenn nicht eine Straftat nach § 52 (3) Nr.7a WaffG da.

Aufgrund dieses Vorfalls hätte die Zuverlässigkeit nach § 5 (1) Nr.2 b) WaffG entzogen werden können. Dort heißt es: „Die Erforderliche Zuverlässigkeit besitzen Personen nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder MUNITION nicht sorgfältig verwahren.“ Eine nicht ordnungsgemäß aufbewahrte Patrone ist hierbei eine solche Tatsache.

Hierbei ist jedoch auch das diskrete Vorgehen zur erstmaligen Kontrolle und nicht, wie schon vorgekommen, das unverzügliche stürmen Wohnung durch das MEK positiv hervorzuheben.

Keine Aberkennung der Zuverlässigkeit

In der Vergangenheit wurde bei ähnlich gelagerten Vorfällen regelmäßig die Zuverlässigkeit aberkannt (VG München AZ M 7 S 17.3929; VG Würzburg  W 9 K 19.1133; VG Köln AZ 8 L 2311/22). In diesen Fällen lag ausschließlich der Verstoß gegen das Waffengesetz vor und kein sonstiger Hinweis auf eine mangelnde persönliche Eignung wie im vorliegenden Falle.

Gerade in diesem Falle wurde hierbei eine Chance vertan, diese Straftat zu verhindern.

Grundsätzlich wäre es also Entzug der Waffen, insbesondere im Hinblick auf den zuvor eingegangenen Hinweis und das von dem Täter veröffentlichte Buch, sowie den Inhalten seiner Internetseite, möglich gewesen; zumindest um den Vorgang genauer prüfen zu können.

Auch hätte schon vor Auffinden der Patrone, bei der Internetrecherche das Buch eine Begutachtung der persönlichen Eignung durch einen Psychologen nach § 6 (2) WaffG möglich gemacht. Konkret wird in § 6 (2) WaffG eine Tatsache gefordert, welche die Annahme rechtfertigt, dass eine Person psychisch krank oder debil ist. Insbesondre vor dem Hintergrund der oben aufgeführten Thesen hätte dies vollkommen ausgereicht, um die Waffenbesitzkarte nach § 45 (2) WaffG zu widerrufen.

Selbst wenn der Täter hiergegen einen Widerspruch oder sogar eine Anfechtungsklage erhoben hätte, hätte diese keine Aufschiebende Wirkung gehabt (§ 45 (5) WaffG. Der Täter hätte somit unmittelbar keine Erlaubnis zum Besitz der Schusswaffe gehabt.

Was kann man nun aus diesem Ablauf folgern?

  1. Der Täter bereitete seine Tat akribisch vor.
  2. Er hat vorgegeben, „Sportschütze“* zu sein, um an eine legale Waffe zu kommen.
  3. Er hätte diese Tat auch ohne legale Schusswaffe ausgeführt.
  4. Die Waffenbehörde hätte frühzeitig die Waffenbesitzkarte auf diverse Weisen widerrufen können (mangelnde Zuverlässigkeit, mangelnde Eignung, Straftat oder Ordnungswidrigkeit nach dem Waffengesetz).
  5. Es ist äußerst fraglich, wieso die schon bestehende Gesetzeslage nicht entsprechend durchgesetzt worden ist.
  6. Womöglich liegt dies auch an der – allgemein bekannten – massiven Überlastung der sachlich und örtlich zuständigen Behörden (im Fall Hamburg ist dies die Polizei).

Was kann man aus diesem Fall somit schließen?

Die Tat wäre schon durch das jetzige Waffengesetz zu verhindern gewesen, es liegt also (erneut) ein Vollzugsproblem und kein Gesetzesproblem vor. Lobend hervorzuheben ist jedoch erneut die schnelle Reaktion der Hamburger Polizei und vor allem die Einrichtung der USE.

* Anmerkung der Redaktion: Um legal in Deutschland an eine Waffe zu kommen, muss man das Bedürfnis „Jäger“ oder „Sportschütze“ erfüllen. Andere Gründe werden hierzulande – im Gegensatz zu anderen EU-Mitgliedsstaaten – nicht anerkannt. Wir setzen daher in diesem Artikel das Wort „Sportschütze“ in Anführungszeichen. Hier ist kein Sportschütze Amok gelaufen, sondern hat sich ein Amokläufer unter Vorspiegelung falscher Tatsachen (Interesse am Schießsport) eine legale Waffe beschafft, indem er einen Sportschützen spielte.

Foto von Josh Eckstein auf Unsplash

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  • 5 weeks later...

Nach dem Amoklauf in Hamburg bei den Zeugen Jehovas, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen Sachbearbeiter der Waffenbehörde, wie auch gegen den  Sportschützenvereins „Hanseatic Gun Club“. Letzterem wird vorgeworfen, „unzutreffende Sachkundezeugnisse“ ausgestellt zu haben.

Wir stellen hier die Vorwürfe und Gegenargumente vor und fragen die Community, ob sie Ähnliches berichten kann wie der Journalist Winkelsdorf oder ob der völlig schiefliegt.

Die Tagesthemen berichteten wie folgt:

Ermittelt wird nun auch gegen drei Mitglieder eines Prüfungsausschusses des „Hanseatic Gun Clubs“, und zwar wegen des Verdachts der Falschbeurkundung im Amt. Ihnen wird vorgeworfen, Philpp F. „blanko“ im April 2022 ein Sachkundezeugnis ausgestellt zu haben. Tatsächlich soll der Amokschütze die praktische Sachkundeprüfung nicht bestanden haben.

Im Oktober soll ein Mitglied der Prüfungskommission eine angeblich erfolgreich verlaufene Nachprüfung vorgenommen haben, die anschließend mit dem Sachkundezeugnis vom April dokumentiert worden sei. Darauf basierend hätte F. nach Auffassung der Ermittler im Dezember vermutlich keine Waffenbesitzkarte erhalten und entsprechend keine Waffe besitzen dürfen.

Tagesthemen vom 28.04.2023

Gegenargumente

Der Waffenrechts-Experte und Journalist Lars Winkelsdorf twitterte bereits am vorherigen Tag:

Zuständig für die Anerkennung der Sachkundeprüfungen von Schützenverbänden ist das Bundesverwaltungsamt, NICHT die Waffenbehörde Hamburg. Und die haben das über die Sportordnung anerkannt.

Demzufolge gibt es einen Prüfungsausschuss NUR für die theoretischen Teile der Prüfung, die praktische Prüfung (auch bekannt als „Schiessen“) wird von EINEM Prüfer abgenommen. Dabei fiel Philipp F. am 28.4.2022 durch. Das wurde dann vom praktischen Prüfer, Heinz K., am 24.10.2022 einfach nochmal nachgeprüft.

Ist wie Führerschein, da fällt man halt auch schonmal zuweilen durch die praktische Prüfung durch, kann passieren, ist halt menschlich. Dann gibt es eben nochmal eine Prüfung und besteht man die, bekommt man vom Prüfer den Führerschein. Nichts anderes hier: Ausstellungsdatum der Urkunde ist VORHER vom 28.4.2022.

Wenn man jetzt nicht völlig debil ist, guckt man mal auf den eigenen Führerschein und wundert sich: Ausstellungsdatum ist häufig VOR der praktischen Prüfung, wo man den bekommen hat.

Twitter vom 27.04.2023

Sein Fazit

Entweder muss die StA Hamburg jetzt etwa 300.000 Ermittlungsverfahren einleiten wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung durch die Fahrprüfer und Verkehrsbehörden oder eben einfach mal die Lebenswirklichkeit akzeptieren lernen.

Wobei das eh keinerlei Unterschied bedeutet: Ob der Täter seine Prüfung jetzt am 28.4.2022 oder am 24.10.2022 gemacht hat, bei Antragstellung am 27.10.2022 hatte er einen Nachweis der Sachkunde vorgelegt.

Twitter vom 27.04.2023

Wie seht ihr das?

Wer praktische Erfahrung als Prüfer, Nachprüfer oder Vereinsvorsitzender oder als Jurist in Bezug auf die Sachkundeprüfung hat, möge hier – gerne auch mit Synonym – Stellung nehmen.

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