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Schussverletzungen


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Schussverletzungen

med. prakt. R. Majcen und Dr. med. R. Hauri-Bionda

Einleitung

Schussbedingte Verletzungen stellen an das Personal der Rettungsdienste und die beigezogenen Ärzte hohe medizinische und forensische Anforderungen. Aus kriminalistischen Gründen ist es wichtig, durch die medizinischen Massnahmen möglichst keine Spuren zu vernichten - dem Spurenschutz ist somit hohe Priorität zuzuordnen.

Schussverletzungen zeichnen sich unabhängig von der verursachenden Munition und Waffe durch verschiedene typische Merkmale aus. Gemeinsam ist ihnen, dass das Gewebe durch hohe Energiefreisetzung zerstört wird. Dabei spielen nicht zuletzt das Kaliber (Geschossgrösse, -durchmesser), die Munitionsart, der Waffentyp und die Schussdistanz eine wesentliche Rolle.

Waffen und Munition

Waffen

Generell wird zwischen Kurz- und Langwaffen unterschieden. Pistolen und Revolver zählen definitionsgemäss zu den Kurzwaffen, Gewehre zu den Langwaffen (Abb. 1). Vergleichsweise selten ist der Einsatz von Schusswaffen anderer Art, nämlich von Bolzenschussapparaten, Nagelsetzgeräten oder Pfeilen, die - mit entsprechenden Bogen (sog. Compound- oder Rollenbogen) abgeschossen - eine dem Schuss aus einer Feuerwaffe ähnliche Energie entwickeln.

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Abb. 1: Langwaffen der Schweizer Armee.

Von oben: Karabiner '11 und '31, Sturmgewehr '57 und '90.

Munition

Im Handel ist eine fast unüberschaubare Vielfalt an Munition für die gebräuchlichen Waffentypen erhältlich. Eine Patrone setzt sich im wesentlichen aus der Hülse und dem Projektil (= Geschoss) zusammen. Das Projektil wird mittels des sich in der Hülse befindenden Treibsatzes durch die sich expandierenden Explosionsgase (Überschallknall!) aus der Hülse gestossen. Der Treibsatz selbst wird mittels eines sog. Zündsatzes durch den Schlaghammer der Waffe entzündet. Das Kaliber wird bei den Fabrikaten aus dem anglo-amerikanischen Raum in 'inch' (Zoll), bei den meisten europäischen Fabrikaten dagegen in Millimetern angegeben. Das am weitesten gebräuchliche Kaliber bewegt sich im Bereich von .22 inch (ca. 5.56 mm) bis .45 inch (ca. 11.4 mm). Kaliber im Bereich von .50 inch (ca. 13 mm) stellen für Kurzwaffen insgesamt eine Rarität dar. Anders verhält es sich bei Schrotpatronen, die neben dem Kaliber auch andere Identifikationsmerkmale wie Anzahl, Grösse und Gewicht der Schrotkugeln aufweisen.

Die Geschwindigkeit und die Masse beeinflussen massgebend die kinetische Energie (Bewegungsenergie) eines Geschosses. Sie berechnet sich wie folgt: E [J] = 1/2 * (m [kg] * v2 [m/s]). Die beiden erwähnten Faktoren beeinflussen zusammen mit der Form und dem Drall des Projektils dessen Flugbahn.

Wundballistik

Allgemeines

Wesentlich zur Wirkung auf den menschlichen Körper und somit zum Aspekt einer Schussverletzung tragen die kinetische Energie des Projektils (d. h. Geschwindigkeit und Masse), dessen Material (Blei, Kupfer etc.) und Verformungseigenschaften bei. Je leichter und deformierbarer ein Geschoss ist, desto leichter wird es durch im Weg befindliche Strukturen aus seiner ursprünglichen Flugbahn abgelenkt, sich ev. sogar in zwei oder mehr Teile zerlegen. Ebenso ist die Ausrichtung des Projektils beim Auftreffen auf den Körper von Bedeutung. So kann der Untersucher bei der Unterscheidung von Ein- und Ausschuss durchaus Schwierigkeiten bekunden.

Einschuss

Ein Einschuss am menschlichen Körper lässt sich anhand zweier Kriterien sicher identifizieren. Zum einen liegt ein Substanzverlust der Haut ('Loch') mit einer Abschürfung des Lochrandes vor, andererseits lässt sich an der Kleidung oder der unbekleideten Haut ein feiner Schmutzring (Abstreifring) des Projektils nachweisen. Autoptisch lässt sich an Knochentafeln des Schädels u. U. ein trichterförmiger Defekt feststellen. Andere Kriterien wie Grössenvergleich von Ein- und Ausschuss sowie Hauteinrisse sind für die Diagnose des Einschusses nicht sicher zu verwerten.

Die Schussdistanz kann mit verschiedenen morphologischen Merkmalen und kriminaltechnischen Untersuchungsmethoden ermittelt werden. Es soll an dieser Stelle nur auf die Veränderungen des Gewebes eingegangen werden.

Nahschuss

Absoluter Nahschuss

Von einem absoluten Nahschuss (Abb. 2) spricht man, wenn die Waffenmündung auf den Körper aufgesetzt oder zumindest hochgradig angenähert (kein direkter Hautkontakt) wird. Es zeigt sich im Unterhautgewebe eine sog. Schmauchhöhle mit Pulverniederschlägen. Das Gewebe wird durch den Explosionsgasdruck vorübergehend über die Waffenmündung balloniert und zerreisst. Dabei entsteht zusätzlich die Stanzmarke - ein weiteres Merkmal des absoluten Nahschusses -, die quasi zu einem 'Fingerabdruck' der Waffenmündung führt. In der Regel finden sich in nächster Umgebung der Schusswunde keine Pulvereinsprengungen in der Haut.

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Abb. 2: Absoluter (aufgesetzter) Nahschuss mit typischer Stanzmarke.

Daneben die in Frage kommende Pistolenmündung.

Relativer Nahschuss

Pulverschmauch und -einsprengungen in und auf der Haut sind Zeichen des relativen Nahschusses. Die Kennzeichen des absoluten Nahschusses fehlen charakteristischerweise (keine Stanzmarke, keine oder nur gering ausgebildete Schmauchhöhle). Die Art und Verteilung der Beschmauchung und der Einsprengungen entsprechen den Besonderheiten der Waffe und der verwendeten Munition und können in Vergleichsuntersuchungen mit der inkrimierten Waffe bestimmt werden.

Fernschuss

Als Fernschuss (Abb. 3) gilt ein Einschuss, der keine Zeichen eines Nahschusses aufweist. In der Regel lässt sich hier nur ein rundlicher Hautdefekt mit Schürfsaum feststellen. Ein gleiches Bild kann sich allerdings beim Durchschuss von festen Kleidungsstücken ergeben.

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Abb. 3: Fernschuss (Pfeil) mit einzelnem rundlichem Hautdefekt.

Ausschuss

Als typisches Ausschusskriterium (Abb. 4) gilt die stern- oder aber schlitzförmige Aufreissung der Haut. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, lassen sich die klaffenden Wundränder gut adaptieren. Gelegentlich finden sich auch Knochensplitter in der Ausschusswunde.

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Abb. 4: Ausschuss eines Karabiners '11 mit feinen radiären Hauteinrissen

Schusskanal

Die Entstehung und Morphologie eines Schusskanales wird u. a. durch verschiedene Parameter wie Waffentyp, Kaliber und Schussdistanz wesentlich beeinflusst. Es entsteht ein schusswaffentypischer sog. Kavitationseffekt in der Umgebung des durchschossenen Gewebes. Um die Bahn des Geschosses bildet sich eine im Vergleich zum Projektildurchmesser bis zu 40 mal grössere Wundhöhle aus, die infolge der bis zu 100 bar starken Druckwelle das Gewebe durch Dehnung, Quetschung und Zerreissung schädigt.

Schusswirkung auf einzelne Organe

Schussverletzungen weisen in der Regel für bestimmte Körperregionen bzw. Organe charakteristische Gewebedefekte auf. Die Gefährlichkeit solcher Verletzungen liegt darin, dass lebenswichtige Organe der Brust- und Bauchhöhle oder vitale Strukturen des Gehirns zerstört werden. Hierfür genügen schon kleine Kaliber (.22 o. ä.). Sog. Dumdumgeschosse (Teilmantelgeschosse, Name stammt vom indischen Ort Dumdum, in der Nähe Kalkuttas, wo während des Chitral-Feldzuges der britischen Kolonialarmee 1895 das Vollmantelgeschoss Mark-II zum Teilmantelgeschoss modifiziert wurde) und Hohlspitzprojektile (Teil- oder Vollmantel) können jedoch wegen der grossen Energieabgabe an das Gewebe auch bei Treffern in die Extremitäten schwerste lebensbedrohliche Verletzungen hervorrufen. Bei Schusstreffern in flüssigkeitsgefüllte Hohlräume (Harnblase, Herz, wassergefüllter Mund etc.) kann es durch die entstehende Druckwelle und die fehlende Komprimierbarkeit der Flüssigkeit zur Sprengung des Organes kommen. Lungendurchschüsse sind demgegenüber - falls keine grösseren Blutgefässe verletzt werden - in deren Auswirkung auf das Gewebe relativ begrenzt. Röhrenknochen frakturieren an den gelenksnahen Enden bei Geschossgeschwindigkeiten über 60 m/s (ca. 220 km/h), bei tieferen Geschwindigkeiten findet sich in der Regel ein Bohrloch von ungefähr Kalibergrösse. Schafttreffer führen zu mehrfragmentären Brüchen.

Forensische und kriminaltechnische Gesichtspunkte

Aus Sicht der Untersuchungsbehörden ist die genaue Abklärung von Ereignissen mit Schusswaffengebrauch, bei denen Verletzte oder Tote zu beklagen sind, unerlässlich. Es ist zwischen Fremd- und Selbsthandlung sowie akzidentellem Geschehen zu unterscheiden. Zu diesem Zweck ist - vor allem bei Schwerstverletzten, die von der Sanität ins Spital gebracht werden - ein 'spurenschonender Transport' wünschenswert. Prioritär ist selbstredend die Vornahme vordringlicher medizinischer Massnahmen. So möglich, sollten blutverschmierte Hände der Verletzten oder Toten weder gereinigt noch berührt werden. Sofern es die Situation erlaubt, könnten die noch nicht geschmauchten Hände mit Plastiksäcken, die feine Luftschlitze aufweisen, geschützt werden.

Jede Waffe stösst mehr oder weniger Pulverrückstände (Schmauch) aus, die sich auf der Schusshand niederschlagen können. Diese sog. Beschmauchung kann - selbst bei Unkenntlichkeit von blossem Auge - von den wissenschaftlichen Diensten der Polizei nachgewiesen werden. Daraus ergeben sich u. U. wichtige Hinweise für die Rekonstruktion eines Ereignisses. An Exzisaten des Einschusses der Haut lässt sich die Beschmauchung ebenfalls feststellen (Abb. 5). Exzidierte Schussdefekte sollten daher nicht verworfen, sondern der spezialisierten rechtsmedizinischen Untersuchung zugeführt werden.

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Abb. 5: Hautexzisate. 1 = Einschuss, 2 = Ausschuss. Durch die Fixation etwas geschrumpfte Präparate. Die typischen Kriterien sind jedoch noch gut sichtbar. Mikroskopisch können beim Einschuss mittels der sog. Rhodizonat-Färbung Schmauchpartikel nachgewiesen werden.

Behandlung

Schussverletzungen sind immer kontaminierte Verletzungen. Die Vorstellung, dass abgefeuerte Projektile aufgrund der entwickelten Hitze (Reibung des Projektils im Waffenlauf, Zündung des Treibsatzes) steril sind, ist nicht haltbar, wie anhand von Experimenten nachgewiesen werden konnte. Mit hitzelabilen Bakterien beimpfte und danach abgefeuerte Geschosse kontaminierten Gewebe experimentell, jedoch stellten auch Kleidungsstücke und die Haut eine Infektionsquelle dar. Eine Schädigung des Gewebes durch thermische Energie (Hitze) ist vernachlässigbar. Das mit der Behandlung von Schussverletzungen betraute chirurgische Fachpersonal wendet in der Regel das Débridement mit offener Wundbehandlung und Drainage und falls nötig den sekundären Wundverschluss (Heilung per secundam intentionem) an. Infektionen können heute durch verschiedene potente Antibiotika meistens vermieden oder zumindest beherrscht werden.

Zusammenfassung

Die medizinische, forensische und kriminaltechnische Behandlung von Schussverletzungen fordert von allen involvierten Diensten ein hohes Mass an Verständnis und Rücksichtnahme für die Prioritäten der Partner. Für die mit der rechtlichen Abklärung und Würdigung betrauten Organe kann es von grossem Nutzen sein, vom therapeutischen Personal der behandelnden Spitäler Skizzen, Fotografien und möglichst genaue Beschreibungen der Schussverletzungen zu erhalten. Die gutachterliche Diskriminierung von z. B. Ein- und Ausschuss wird dadurch wesentlich erleichtert. Es ist ein strafrechtlicher Unterschied, ob sich der Einschuss am Rücken oder im Brust-/Bauchbereich befindet!

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