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Zwei Sachbücher beleuchten Stereotype über Amerika


dynamite

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5. Dezember 2002, 02:08, Neue Zürcher Zeitung

Wer hat Angst vor dem weissen Mann?

Es gibt wohl kein Land, über das mehr Klischeevorstellungen existieren als über Amerika - und zwar mitnichten nur in der Alten Welt, werden doch viele Stereotype, die allen Bereichen des amerikanischen Lebens anhaften, gerne auch im eigenen Land aufgegriffen, sei es in Form einer offensiv selbstbewussten Bestätigung oder in zynischer Brechung. Für Ersteres mag beispielsweise Charlton Heston stehen, der bis vor seinem krankheitsbedingten Rückzug aus der Öffentlichkeit vor wenigen Monaten keine Gelegenheit ausliess, als Vorsitzender der National Rifle Association (NRA) den Waffenbesitz, den er als uramerikanisches Grundrecht versteht, mit dem markigen Westernhelden-Slogan zu verteidigen, eine Waffe könne nur «from his cold, dead hands» genommen werden.

Die selbstironische Art der Auseinandersetzung mit nationalen Stereotypen hingegen wird von jenen besorgt, die der junge Moralphilosoph Jedediah Purdy in seinem Buch «Das Elend der Ironie» (vgl. NZZ vom 11. 4. 00) der Zersetzung des Wahrhaftigen bezichtigt, etwa Starkomikern wie Jerry Seinfeld, dem Moderator der Fernsehshow «Politically Incorrect», Bill Maher - oder auch von dem in jüngster Zeit die grösste Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Enfant terrible des gesellschaftskritischen Showbiz, Michael Moore. Als Kompass im Dickicht der Klischeevorstellungen über Amerika bietet sich ein gerade erschienenes Buch von Hans-Dieter Gelfert an, das den griffigen und herausfordernden Titel «Typisch amerikanisch. Wie die Amerikaner wurden, was sie sind» trägt. Durch seine unaufgeregte und fundierte Analyse amerikanischer Eigenheiten ist es nicht zuletzt auch eine erhellende Parallel-Lektüre zu dem marktschreierischen Titel «Stupid White Men. Eine Abrechnung mit dem Amerika unter George W. Bush» von Michael Moore.

Verallgemeinerungen . . .

Der 1954 geborene Autor und Filmemacher Moore versteht es, sich mit kruden Verallgemeinerungen über seine Landsleute ins Gespräch zu bringen - und trifft damit, dafür spricht der enorme Erfolg seines derzeit in den europäischen Kinos laufenden Films «Bowling for Columbine» (vgl. NZZ vom 15. 11. 02), insbesondere den Nerv jener Abendländer, denen Amerika schon immer irgendwie suspekt war. Wer gerne «typisch amerikanische» Übel wie Konsumterror und Schiessfreude, Massenkultur und Junk Food in einem Topf zusammenrührt, um daraus sein Amerikabild zu schöpfen, wird dem selbstgerechten Schwadroneur Moore gerne Gehör schenken. Er wird sich nicht nur seine von ihm selbst so genannten «Mockumentaries» im Kino anschauen, sondern auch sein mit perfektem Timing zeitgleich zum Filmstart auf den Buchmarkt geworfenes Traktat über die «Dummen weissen Männer» zu Gemüte führen, um alle Vorurteile über Amerika darin bestätigt zu finden - sogar jene, und das ist vermutlich das Lehrreichste an Moores Werken, die der Autor ganz unfreiwillig bedient.

«Bowling for Columbine» kulminiert in einer Begegnung mit Charlton Heston, dem Moore - erfolglos - pseudoinvestigative Fragen zur Waffenkultur der Amerikaner stellt, um ihn vor laufender Kamera zu entblössen und sich selber dabei ein weiteres Mal als Rächer der Geknechteten zu stilisieren - eine penetrante Selbstbeweihräucherung, die absurderweise bei näherer Betrachtung offenbart, dass zumindest in einem Punkt zwischen den vermeintlichen Antagonisten keinerlei Dissens herrscht: Beide sind davon überzeugt, dass den USA eine historisch gewachsene und tief in die nationale Psyche eingegrabene Gewaltbereitschaft eignet. Und was Heston als Rechtfertigung recht ist, ist Moore nur billig, um seine These zu belegen, die USA seien beherrscht von einer Kultur der Angst, die ihresgleichen suche - gegen die er allerdings selber nicht gefeit zu sein scheint, geschweige denn, dass er ihre Wirkungsmechanismen für seine eigene Arbeit kritisch hinterfragt hätte. Denn Angst, und spezifischer noch eine hysterische Paranoia vor Verschwörungen aller Art, zieht sich wie ein roter Faden durch seine Polemiken und naiv-ideologischen Verallgemeinerungen, was besonders deutlich bei der Lektüre seines Buches aufscheint.

. . . und Verschwörungstheorien

Moore behauptet, die Tradition des investigativen Journalismus in den USA sei tot, weswegen er sich aufschwingt, die vermeintlich leere Stelle zu besetzen. So rollt er in seinem Buch noch einmal die Geschichte der letzten amerikanischen Präsidentschaftswahl auf, davon überzeugt, die «Junta» um George W. Bush habe mit unlauteren Mitteln nach der Macht gegriffen, wobei er, und dies ist in der Tat etwas sehr Amerikanisches, wüste Verschwörungstheorien in die Welt setzt. «Vermutlich» und «mysteriös» sind inflationär auftauchende Begriffe. Entsprechend erkennt Moore, wider längst gewonnene Erkenntnisse, Bush den Wahlsieg ab und bezeichnet ihn entweder weiterhin als Gouverneur oder aber als erwählten, nicht gewählten «Präsidenten», die angebliche Illegitimität durch Gänsefüsschen betonend.

Mit grossem Eifer betreibt Moore seine Recherchen, die sich indes als ungenau erweisen; zitierfähig ist das von ihm angehäufte Zahlen- und Datenmaterial nicht, ganz zu schweigen von den arbiträren Zusammenhängen, die er daraus ableitet. Das ist umso bedauerlicher, als Amerikas Linke eine seriöse Stimme gebrauchen könnte, scheint sie doch seit dem 11. September 2001 in Sprachlosigkeit verfallen zu wollen. In dieses Vakuum hinein formuliert Moore mit grossem Erfolg seine Krawallthesen, die er als Satire versteht. Tatsächlich handelt es sich um ein mit Kalauern versetztes Querulantentum, das in erster Linie einem Zweck dient: seiner Selbstdarstellung.

So holt Moore, im Film wie im Buch, weit zu einem Rundumschlag aus, bei dem kein Aspekt des nationalen Malaises, wie er es sieht, unberücksichtigt bleibt: Waffenproblematik, Rassendiskriminierung, soziales Elend, Umweltzerstörung, Frauenfeindlichkeit usw. In wilder Parallelmontage fügt er aneinander, was ihm gerade zupass kommt, und verhilft dabei jedem Stereotyp über Amerika zu neuer Schwungkraft, wobei sein zur Schau getragener, anbiedernder Antiamerikanismus im Kern Züge eines von Gelfert konstatierten «typisch amerikanischen» Paradoxons trägt: Moore ist ein regierungsfeindlicher Patriot, der im Grunde nicht die unwürdigen Zustände an sich beklagt, sondern vor allem Scham empfindet, weil sie im eigenen Land herrschen.

Moores Denk- und Darstellungsweisen im Spiegel von Hans-Dieter Gelferts Buch zu lesen, ist ausgesprochen aufschlussreich, denn Gelfert bringt aus einer für die Thematik überaus bekömmlichen Distanz auf den Punkt, worin sich populäre Klischeevorstellungen von tatsächlichen nationalen Eigenheiten unterscheiden. Hatte der frühere Anglistikprofessor schon mit seinem in vierter Auflage vorliegenden Titel «Typisch englisch. Wie die Briten wurden, was sie sind» einen genauen Blick auf Mentalitäts-Charakteristika geworfen, so erweist sich Gelfert auch mit seinem neuen Buch als treffsicherer Analytiker des amerikanischen Grundgewebes. Die Fäden, aus denen Moores strukturloser Flickenteppich gewoben ist, knüpft Gelfert behutsam auf, um daraus eine rutschfeste Auslegeware für das schlüpfrige Parkett der Amerika-Rezeption zu schaffen.

Auf weniger als 200 Seiten gelingt es Gelfert, ein Amerikabild zu schaffen, das auf grossem Kenntnisreichtum fusst und trotz seiner Knappheit keinerlei Tendenz zur Verallgemeinerung aufweist. Klug strukturiert und stringent in der Argumentation, widmet es sich schlaglichtartig den Mythen, Formkräften und der Kultur Amerikas. Gelfert schreibt, dass in Amerika eine ungewöhnlich homogene Ausbildung nationaltypischer Merkmale stattgefunden habe, da die USA im Gegensatz zu Europa eine sehr junge Vergangenheit hätten und die Nation, als sie sich selbst erfand, «gleichsam auf eine weisse Leinwand» gepinselt habe, so «dass hier die für Europa so typische Konkurrenz zwischen konservativen und progressiven Selbstbildern in einem einzigen Bild zusammenfiel». Der Mangel an althergebrachten Mythen und Sagen sei rasch mit «quasi-mythischen Wertbegriffen» kompensiert worden, etwa «Innocence», «Opportunity», «Plenty» und «Success».

Das wohl interessanteste Kapitel beschäftigt sich mit den bereits erwähnten amerikanischen Paradoxien, etwa «idealistischen Materialisten», «Individualisten mit Gemeinsinn» oder «hedonistischen Asketen» - Kategorien, die in Gelferts überprüfender Abgrenzung zu anderen Kulturen grossen Sinn ergeben. Differenziert setzt er sich mit Klischees auseinander - etwa wenn es um die gängige Etikettierung der US-Massenkultur als Kitsch geht - und schafft sich so eine Basis, auf welcher er der Voreingenommenheit unverdächtig ist und klare, kräftige Aussagen treffen kann, beispielsweise diese: «Nichts scheinen Amerikaner mehr zu hassen als Bevormundung, und nichts scheinen sie mehr zu fürchten als Liebesentzug.» Nur allein mit diesem Satz lässt sich Michael Moores Motivation bereits zufriedenstellend erklären.

Susanne Ostwald

Michael Moore: Stupid White Men. Eine Abrechnung mit dem Amerika unter George W. Bush. Piper-Verlag, München 2002. 329 S., Fr. 21.10.

Hans-Dieter Gelfert: Typisch amerikanisch. Wie die Amerikaner wurden, was sie sind. C.-H.-Beck-Verlag, München 2002. 193 S., Fr. 17.40.

(Quelle:)

http://www.nzz.ch/2002/12/05/fe/page-article8JONC.html

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@ Rusty

Hast Recht, dieser Artikel ist ein bisschen lang geraten. Hat aber zwei Gründe:

1. funktioniert der NZZ link für gewöhnlich nur einen Tag, und verunmöglicht es deshalb den morgigen Lesern, den Artikel auf diese Weise zu lesen.

2. mach es nicht viel Sinn, wichtige Passagen unnötigerweise wegzulassen.

Ob eine Zeitung aber damit einverstanden ist, wenn man Artikel praktisch eins zu eins übernimmt und wie hier öffentlich zum Lesen postet, weiss ich nicht - v.a. weil sie den link ja sperrt nach einem Tag.

Vielleicht wissen die Juristen darüber mehr (allerdings ist es ja immer auch Werbung für die Zeitung und ausserdem stellt sie den Artikel zumindest für eine gewisse Zeit selbst unentgeltlich zur Verfügung).

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Vielleicht wissen die Juristen darüber mehr

Ein weites Feld. Wahrscheinlich wird sich die NZZ auch nicht dagegen wehren, dafür ist das hier zu unwichtig. Rechtlich ist es aber vermutlich eher nicht O.K. Das sie es selbst unentgeltlich anbieten, spielt wohl keine Rolle.

P.S.:"NZZ - Format" ist so ziemlich meine Lieblingssendung im deutschen Fernsehen und der Artikel ist einsame Spitze.

Ich glaube, ich werde die NZZ demnächst abbonieren.

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P.S.:"NZZ - Format" ist so ziemlich meine Lieblingssendung im deutschen Fernsehen und der Artikel ist einsame Spitze.

Ich glaube, ich werde die NZZ demnächst abbonieren.

Welchen Artikel meinst Du jetzt? Obigen..?

Ich muss Dich aber warnen: die NZZ macht süchtig!!!

Seit fünf Jahren habe ich sie nun und möchte sie wirklich nicht mehr missen: sie hat ausgewogene news und die wichtigsten Bundesgerichtsentscheide drinnen, ausserdem immer sehr ausführliche Hintergrundberichte.

Schon Kohl hat 'mal bezgl. der NZZ gesagt, ... - na was hat er doch schon wieder gesagt... irgendwas wie: "dann kann man das schon längst in der NZZ lesen" naja, ähm, lassen wir das!

Was ist denn Deine Zeitung? Die FAZ? Seit neustem macht die auch kräftig Werbung hier bei uns (auch in der NZZ übrigens).

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Ja gell, der Artikel ist Spitze! Als ich ihn heute beim Morgenessen in der Zeitung las, dachte ich, den müsste ich posten.

Und das, obwohl Moore darin angegriffen wird. Aber wie gesagt, mir gefällt seine freche Satire zwar sehr, doch guter Argumentation bin ich eben nie abgeneigt. Pro oder Kontra! Eine Seite, die ich liebe in unserem Metier. :D

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